Neue Visionen braucht das Land

Das neue Philosophie Magazin 03/2023 stellt in seinem Titelthema die Frage: „Welche Vision kann uns retten?“ Die vier möglichen, teilweise utopischen Antworten lauten: Postwachstum, Longtermism, Freie Planwirtschaft und Metaverse. Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt in ihrem Editorial: „Gewiss Visionen wohnen Gefahren inne; wenn sie zur Ideologie gerinnen, können sie tödlich sein. Doch wenn sie die Verbindung zum Leben nicht verraten, sondern aus ihr erwachsen, bergen sie größtes Potenzial.“ Um den Problemen, die nicht nur die Menschheit, sondern den Planeten Erde als solchen bedrohen, angemessen zu begegnen, ist ein einfaches „weiter so!“ keine Option. Umso dringender benötigen die Menschen positive Zukunftsentwürfe, die ihrem Handeln ein Ziel geben und sie motivieren, im Hier und Jetzt den richtigen Weg einzuschlagen. Kurz: Sie brauchen neue Visionen.

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Im Bereich der Werte gibt es moralische Tatsachen

Eine „Tatsache“ ist eine objektiv bestehende Wahrheit. Doch auch im Bereich der Werte gibt es Tatsachen – moralische Tatsachen. Viele Menschen glauben allerdings, dass es keine moralischen Tatsachen gibt. Dies wirft für Markus Gabriel eine grundlegende Frage auf, die in verschiedenen Varianten auftaucht: Gibt es überhaupt objektive Werte? Diese Frage hängt eng damit zusammen, was man tun soll. In den Tagen der Corona-Krise kommen verhaltensökonomische Modelle zum Einsatz. Markus Gabriel stellt fest: „Der Mensch wird in vielen Ländern – gerade jenen in denen eine Ausgangssperre verhängt wird – als Herdentier betrachtet, das nicht wirklich zu moralischen Entscheidungen fähig ist.“ Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Der Tod ist noch immer mit einem Tabu belegt

Die meisten Menschen verdrängen und tabuisieren den Tod. Sofern es um den eigenen Tod geht und nicht um den Tod an sich. Michael Wolffsohn weiß: „Zur Kulturgeschichte der Menschheit gehört die Angst vor dem eigenen Tod ebenso wie vor dem Tod des oder der geliebten Menschen. Im Banne dieser Ängste lebt der Mensch heute, lebte er immer.“ Die „Angst vor dem Partnerverlust“ ist eine menschliche Urangst. Die Menschen sind von Natur aus gesellig und vertragen Einsamkeit in der Regel nicht sehr lange. Auch der Tod zerschneidet Bindungen und bringt für die Überlebenden die Gefahr der Vereinsamung. Hiergegen steuert die Kultur des Totengedenkens, auch natürlich die Zeremonie der Bestattung, kurz Trauer und Trauerrituale an sich. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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Von Katzen kann man etwas lernen

Die Philosophie war über weite Strecken ihrer Geschichte die Suche nach Wahrheiten, die beweisen sollten, dass nicht alles endlich sei. John Gray nennt ein Beispiel: „Platons Lehre von den Formen – unveränderlichen Ideen, die in einem ewigen Reich existieren – war eine mystische Vision, in der die menschlichen Werte vor dem Tod sicher waren.“ Da Katzen zwar zu wissen scheinen, wann es an der Zeit ist, zu sterben, aber nie an den Tod denken, haben sie kein Bedürfnis nach diesen Hirngespinsten. Wenn sie sie verstehen könnten, hätte die Philosophie sie nichts zu lehren. Einige wenige Philosophen haben erkannt, dass man von Katzen etwas lernen kann. John Gray lehrte Philosophie unter anderem in Oxford und Yale. Zuletzt hatte er den Lehrstuhl für Europäische Ideengeschichte an der London School of Economics inne.

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Es gibt Vertrautheit angesichts des Unbekannten

Manchmal verstärkt ein seltsames Gefühl von Evidenz noch die Verwirrung. Charles Pépin schreibt: „Ich kenne diese Person nicht, ich habe sie gerade kennengelernt, und doch bin ich mir sicher: Sie ist es.“ Dieses Gefühl gibt einem Menschen Vertrauen angesichts des Unbekannten, das es schon nicht mehr wirklich ist. Man läuft jemandem zufällig über den Weg, doch es kommt einem vor, als hätte man dieser Person begegnen müssen. Als wäre man mit ihr verabredet. Dieser Eindruck der Vertrautheit, den man beim ersten Mal im Beisein eines Menschen hat, der einem lieb und teuer geworden ist, beruht auf Gegenseitigkeit. Man fühlt sich sofort wohl in der Gegenwart des anderen, das Verständnis ist beiderseitig. Charles Pépin ist Schriftsteller und unterrichtet Philosophie. Seine Bücher wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

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Friedrich Nietzsche denkt die Philosophie der Zukunft

Friedrich Nietzsche schreibt im März 1884 an Heinrich Köselitz, dass er nachdem er sein Stillschweigen gebrochen habe, zu irgendeiner „Philosophie der Zukunft“ verpflichtet sei. Christian Niemeyer weiß: „Geschrieben wurde der Brief zu einer Zeit, zu der Friedrich Nietzsche den „Zarathustra“ für abgeschlossen hielt.“ Es ist sich nun sicher, dass der Leser, der einmal in diesem Buch gelebt hat, mit einem anderen Bewusstsein wieder zur Welt zurückkommt. Insoweit markiert der „Zarathustra“ den die geistige Umkehr des Lesers bewirkenden „Abgrund der Zukunft“. Noch nicht aber, wie Christian Niemeyer hinzusetzen möchte, jene „Philosophie der Zukunft“. Diese hätte zugleich auch die Notwendigkeit dieser Umkehr und einer verantwortbaren Lebensführung vorzutragen. Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an der TU Dresden.

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Charaktere sind oft widersprüchlich

Charaktere sind wandelbar, äußerst anpassungsfähig und oft genug in sich widersprüchlich. Richard David Precht ergänzt: „Auch hat man keine Tugenden, man besitzt sie nicht als unveräußerliches Eigentum. Es gibt keine durch und durch tapferen oder gerechten Menschen, die sich die Tugend der Tapferkeit oder der Gerechtigkeit einverleibt haben.“ Sondern es gibt Menschen, die auf unterschiedliche Weise tapfer sind und für die Gerechtigkeit situativ einen hohen oder geringen Wert darstellt. Ein tapferer Soldat kann beispielsweise feige im Umgang mit seiner Frau und seinen Kindern sein. Und ein gerechter Richter kann ungerecht zu seinen Geschwistern sein. Es gibt eitle Priester, die Demut predigen. Und es gibt Philosophen, die alle Weisheit der Welt reflektieren und ihr Leben gleichwohl höchst unklug führen. Der Philosoph, Publizist und Autor Richard David Precht einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Viele Menschen tabuisieren den eigenen Tod

Viele Menschen, die den Glauben an die Religion verloren haben, fürchten sich noch mehr vor dem Tod als die Gläubigen und tabuisieren ihn sogar. Damit betrügen sie sich freilich selbst. Fast nie ist vom eigenen, fast immer vom anonymen Tod des anderen die Rede. Michael Wolffsohn fügt hinzu: „Man bleibt Zuschauer und ist nicht betroffen. Den eigenen Tod tabuisieren die meisten Menschen; damals, heute und gewiss auch in Zukunft. Wir sterben alle, und eigentlich alle möchten es nicht wahrhaben.“ Auch hier bestätigen Ausnahmen die Regeln. Epikur, zum Beispiel. Er lebte von 341 bis 270 vor Christus. Den meisten gilt er völlig zu Unrecht, als eine Art Lustmolch. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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Für den Nihilismus hat nichts einen objektiven Wert

Im Allgemeinen ist Nihilismus die Auffassung, dass in Wirklichkeit überhaupt nichts einen objektiven Wert hat. Das gilt nicht einmal für das Leben. Markus Gabriel ergänzt: „Der Nihilismus hält die Wirklichkeit für einen wertneutralen Ort, an dem ein Überlebenskampf der Arten und Individuen tobt. Ein Wert, so der Hauptgedanke des Nihilismus, liegt nur vor, wenn jemand etwas, was an sich keinen Wert hat, wertschätzt.“ Besonders eindringlich wurde dieser Gedanke von Friedrich Nietzsche formuliert. Dieser setzt ihn für seinen groß angelegten Versuch ein. Er will das angeblich christlich-jüdische Wertesystem der von ihm sogenannten „Sklavenmoral“ zugunsten einer neuartigen „Herrenmoral“ entthronen. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Ideen entstehen durch schöpferisches Denken

Schöpferisches Denken durch Kombination kann nicht nur erklären, wie Ideen zustande kommen. Sondern es ist auch ein Schlüssel, um die Entwicklung einer Kultur zu verstehen. Stefan Klein weiß: „Kulturen verändern sich, wenn Menschen mit der Zeit einen immer reicheren Schatz an Wissen und Erfahrungen, Konzepten und Mythen, Techniken und Kunstwerken anlegen.“ Solche Prozesse lassen sich nicht in erster Linie auf die herausragenden Beiträge Einzelner zurückführen. Auch wenn die Leistungen von Persönlichkeiten wie Leonardo da Vinci, Johann Sebastian Bach, Marie Curie oder Albert Einstein spektakulär sind. Der Motor ist vielmehr das kollektive Gehirn. Denn erst das Zusammenwirken einer ganzen Gemeinschaft erzeugt den geistigen Nährboden, auf dem Ideen keimen. Stefan Klein zählt zu den erfolgreichsten Wissenschaftsautoren der deutschen Sprache. Er studierte Physik und analytische Philosophie in München, Grenoble und Freiburg.

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Katzen sind eingefleischte Realisten

Katzen tun selten etwas, was nicht einem Zweck dient oder unmittelbare Freude bereitet, denn Katzen sind eingefleischte Realisten. Konfrontiert mit menschlicher Torheit, gehen sie einfach ihrer Wege. Menschen können zwar keine Katzen werden. Doch wenn sie sich nicht für überlegene Wesen hielten, würden sie vielleicht verstehen, wie Katzen ein gutes Leben führen können, ohne sich ängstlich zu fragen, „wie“ sie leben sollen. John Gray erklärt: „Katzen brauchen keine Philosophie. Sie gehorchen ihrer Natur und sind zufrieden mit dem Leben, das diese ihnen schenkt. Beim Menschen dagegen scheint Unzufriedenheit mit seiner Natur zu dieser Natur zu gehören.“ John Gray lehrte Philosophie unter anderem in Oxford und Yale. Zuletzt hatte er den Lehrstuhl für Europäische Ideengeschichte an der London School of Economics inne.

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Die Philosophie führt von der Dunkelheit zum Licht

Platon war der erste Philosoph, der sich theoretisch mit der Frage der Poetik auseinandersetzte. Für ihn ist die Mimesis verdächtig, ontologisch und moralisch gleichermaßen. Mimesis bezeichnet ursprünglich das Vermögen, mittels einer Geste eine Wirkung zu erzielen. Ontologisch, da die empirische Welt bereits eine Imitation ist, ein Schatten der Realität (Wahrheit) der Welt der Ideen. Ágnes Heller erklärt: „Ontologisch gesehen, so Platon, nehmen Philosophie und Dichtung zwei extreme Positionen des Kontinuums ein.“ Ágnes Heller, Jahrgang 1929, war Schülerin von Georg Lukács. Ab 1977 lehrte sie als Professorin für Soziologie in Melbourne. 1986 wurde sie Nachfolgerin von Hannah Arendt auf deren Lehrstuhl für Philosophie an der New School for Social Research in New York. Ágnes Heller starb am 19. Juli 2019 in Ungarn.

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Das Soziale liegt im Auge des Betrachters

Die Sozialontologie ist eine Teildisziplin der Philosophie. Sie untersucht systematisch die Frage, ob es allgemeine strukturelle Bedingungen dafür gibt, dass das So-Sein bestimmter Tatsachen sozial ist. Markus Gabriel erklärt: „Eine Tatsache ist dann sozial, wen ihr So-Sein das aufeinander abgestimmte Verhalten mehrerer Individuen einer Spezies involviert.“ Eine soziale Tatsache liegt nicht nur dann vor, wenn mehrere Individuen faktisch eine Handlung derselben Art vollziehen. Denn auch ein einziges Individuum kann durch sein Handeln soziale Tatsachen schaffen oder in sie eingebettet sein, ohne diesen Umstand jemals zur Kenntnis zu nehmen. Das Soziale liegt ziemlich buchstäblich im Auge des Betrachters. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Der Mensch muss sich selbst gestalten

Dem Menschen fehlt ein vorgegebener Weltbezug, er ist wie der Philosoph Günther Anders schrieb, durch eine fundamentale Weltfremdheit bestimmt. Konrad Paul Liessmann erklärt: „Damit ist der Mensch aufgefordert, sich selbst zum Gegenstand nicht nur der Reflexion, sondern der Gestaltung zu machen.“ Die fälschlicherweise oft Goethe zugeschriebene Maxime aus den Oden des Pindar liebte Friedrich Nietzsche und übersetzte sie mit „Werde der, der du bist“. Friedrich Nietzsche hat darüber in den „Fröhlichen Wissenschaften“ folgendes geschrieben: „Wir aber wollen Die werden, die wir sind, – die Neuen, die Einmaligen, die Unvergleichbaren, die Sich-selber-Gesetzgebenden, die Sich-selbst-Schaffenden!“ Konrad Paul Liessmann ist Professor für Philosophie an der Universität Wien. Zudem arbeitet er als Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist. Im Zsolnay-Verlag gibt er die Reihe „Philosophicum Lech“ heraus.

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Tatbestand kann unterschiedliche Bedeutungen haben

Das Wort „Tatbestand“ erscheint den meisten Nichtjuristen als Inbegriff eines juristischen Begriffs. Es wird nicht selten mit der angeblichen Lebensfremdheit und Umständlichkeit, gern auch mit Spitzfindigkeit von Juristen assoziiert und in eins gesetzt. Thomas Fischer stellt fest: „Der Tatbestand ist der Schrecken all derer, die sich vom Strafrecht vor allem und sofort Gerechtigkeit im ganz persönlichen Fall und für ihr Anliegen erwarten.“ Aber wie meistens ist es so einfach nicht. Denn der Tatbestand als Rettung vor der puren Willkür ist so tief im Bewusstsein der deutschen Kultur verankert, dass selbst die dezidiert pure Willkür ihn noch als Legitimationsfigur missbrauchen muss. „Tatbestand“ kann, sogar in der Rechtssprache, unterschiedliche Bedeutungen haben. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Die Kultur ist eine Form der Natur

Die Geschichte, die Gesellschaft und die Kultur des Menschen steuert wesentliche Einsichten in das bei, was man die Natur des Menschen nennt. Man braucht nur die Evolution des Menschen ins Auge zu fassen, um zu sehen, dass er selbst nur als integraler Teil der Natur zu verstehen ist. Volker Gerhard erläutert: „So setzt die Geschichte der Menschheit die Naturgeschichte des sich entfaltenden Lebens ein einer durchaus spezifischen Weise fort. Mit Blick auf die vergleichsweise rasche Entwicklung des homo faber und des homo sapiens kann man von einer bemerkenswerten Beschleunigung eines Evolutionsvorgangs sprechen.“ Selbst wenn er in biologischer Hinsicht mit Effekten der Verlangsamung verbunden ist. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Die Philosophie ringt mit dem Guten

Die Frage nach der moralischen Verantwortung stellt sich, sobald man darüber nachdenkt, wie man sein Tun an dem ausrichtet, was man für gut hält. Darin stößt man beständig auf Uneinigkeiten und kontroverse Deutungen. Diese wischte man lange Zeit mit dem Hinweis weg, dass sich das Moralische doch von selbst verstehe. Es müsse also nicht eigens zum Thema gemacht werden. Ina Schmidt weiß: „Die Philosophie ringt dennoch und weil es eben nicht evident ist, seit über zweitausend Jahren um Antworten.“ Dabei ist die Philosophie nicht einmal sicher, was dieses Gute nun eigentlich ganz genau ist. Ina Schmidt ist Philosophin und Publizistin. Sie promovierte 2004 und gründete 2005 die „denkraeume“. Seitdem bietet sie Seminare, Vorträge und Gespräche zur Philosophie als eine Form der Lebenspraxis an.

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Die Weisheit ist mit der Freiheit verbunden

Frédéric Lenoir bringt oftmals die Weisheit mit der Freiheit in Verbindung. Inwiefern kann die Weisheit einen Menschen freier machen? Frédéric Lenoir denkt dabei nicht an politische Freiheiten – wie beispielsweise Bewegungsfreiheit, Meinungs- oder Redefreiheit –, sondern an innere Freiheit. Frédéric Lenoir weiß: „Man kann zahlreihe politische Rechte haben und doch Sklave seiner Leidenschaften oder seiner Glaubensmaximen und irrigen Ideen sein.“ Das kann man von zahlreichen Weisen lernen. Insbesondere von Baruch de Spinoza, dessen Hauptwerk „Ethik“ einen echten Weg in Richtung Freiheit weist. Baruch de Spinoza glaubte jedoch nicht an die Freiheit der Entscheidung, das heißt an eine natürliche Fähigkeit, eine Entscheidung ganz ohne inneren Zwang zu treffen. Jedoch glaubte er an die Befreiung von der Sklaverei der Leidenschaften. Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

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Die Welt ist voller Ungleichheiten

Ist es unfair, dass einige Menschen reich geboren werden und andere arm? Und falls es unfair ist, sollte man etwas dagegen tun? Thomas Nagel betont: „Die Welt ist voller Ungleichheiten – innerhalb eines Landes und im Verhältnis der Länder untereinander.“ Einige Kinder wachsen in einem komfortablen und wohlhabenden Zuhause auf. Sie bekommen eine gute Ernährung und eine ausgezeichnete Ausbildung. Andere Kinder leben in Armut, haben nicht genug zu essen. Und sie haben zu keinem Zeitpunkt Zugang zu einer nennenswerten Ausbildung oder medizinischen Versorgung. Dies ist offenbar Glückssache. Menschen sind für die soziale und ökonomische Klasse sowie für das Land, in dass sie hineingeboren werden, nicht verantwortlich. Der amerikanische Philosoph Thomas Nagel lehrt derzeit unter anderem an der University of California, Berkeley und an der Princeton University.

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Die Welt und ihre Dinge sind Erscheinungen

Die Welt ist nicht wesentlich phänomenologisch. Die Dinge sind nicht das Sinnliche. Sie müssen erst sichtbar, hörbar, tastbar werden, und das tun sie nur immer außerhalb von sich selbst. Die Welt und ihre Dinge entstehen und sind Erscheinungen. Dies geschieht immer nur anderswo als am Ort ihrer Existenz und in einer anderen Materie als jener, der sie ihre Existenz verdanken. Dieser Ort, an dem die Realität erkennbar und phänomenal wird, ist der nichtdingliche, aber auch nicht notwendige psychologische Raum. Emanuele Coccia erklärt: „Nur in den Medien und dank der Medien wird die Welt zum Phänomen. Wenn das wahr ist, sollte das Projekt der Phänomenologie, das die Philosophie so lange beschäftigt hat, sofort abgebrochen werden.“ Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

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Es gibt drei große gesellschaftliche Umbrüche

Der französische Denker Jean Baudrillard gilt als einer der Hauptverfechter der Postmoderne. Dennoch war es ausgerechnet er, der die Mythologie des Sozialkonstruktivismus angegriffen hat. Jean Baudrillard behauptet in einem Buch „Simulacres et simulation“, dass es drei große gesellschaftliche Umbrüche gebe, die in der gegenwärtigen Zeit kulminierten. Markus Gabriel kennt sie: „In der Vormoderne seien menschliche Gesellschaften durch Symbole gesteuert worden, die sich ziemlich eindeutig von der Wirklichkeit unterschieden. Eine Götterstatue aus Lehm ist ein Symbol für einen Gott, aber selbst kein Gott, wie das alttestamentarische Bilderverbot einschärft. Die monotheistische Revolution bringt die Vormoderne sozusagen auf den Punkt.“ Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Intuitionen sind nicht gleichbedeutend mit Wissen

Das neue Philosophie Magazin 02/2023 diskutiert im Titelthema darüber, ob man seiner Intuition folgen oder eher auf die Kraft des Verstandes setzen sollte. Auf jeden Fall ist Vorsicht geboten, den Intuitionen sind nicht gleichbedeutend mit Wissen. Aber es gilt auch, wie Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler in ihrem Editorial feststellt: „Ganz ohne Intuition wären wir heillos verloren. Die Intuition ist es, die uns in Situationen des Nichtwissens ein Kompass ist; die es uns ermöglicht, uns in einer komplexen, unübersichtlichen Welt zu orientieren; die uns befähigt, unseren eigenen, individuellen Weg zu gehen.“ Alltagssprachlich setzt man Intuition oft mit Bauchgefühl gleich. Doch ein Blick in die Philosophiegeschichte zeigt, dass diese Kraft weit mehr ist. Ja, vielleicht sogar etwas ganz anderes. Übersetzt meint dieses Wort lateinischen Ursprungs: unmittelbare Anschauung.

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Im Buddhismus bilden Stoff und Erleben eine Einheit

Was Menschen Materie nennen, ist gar nicht so tot, wie sie glauben. Die Trennlinie zwischen Lebendigem und Unbelebtem reicht nicht in eine absolute Tiefe. Denn das Unbelebte trägt bereits Vorformen, Potenziale und Keimformen lebendigen Erlebens in sich. Der Fehler, der in eine Sackgasse geführt hat, liegt in einem falschen Begriff der Materie. Dieser wurde zu Beginn der neuzeitlichen Wissenschaften gefasst. Fabian Scheidler erklärt: „Die Ursprünge dieser bisweilen als „Panpsychismus“ bezeichneten Position reichen weit in die Geschichte von Philosophie und Wissenschaften zurück.“ Die indische Samkhya-Theorie entstand vor mehr als 2500 Jahren. Dort ist der Urstoff des Universums, „prakriti“ nicht als tot und passiv gedacht. Sondern man fasst es als aktives Prinzip auf, das auch Empfindungs- und Wahrnehmungsvermögen umfasst. Der Publizist Fabian Scheidler schreibt seit vielen Jahren über globale Gerechtigkeit.

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Der Mensch ist mehr als sein Schein

Søren Kierkegaard wirft sich im Namen der Leidenschaft in die Arme der Religion. Friedrich Nietzsche wendet sich im Namen des Willens zur Macht gerade von ihr ab. Beide sehen sich aber gezwungen die Vernunft zu relativieren und sie etwas Größerem, Stärkerem und Mächtigerem unterzuordnen. Auch das zeichnet sich für Ger Groot seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts bereits ab: „Im Spieltrieb sucht Friedrich Schiller nicht länger nach einer Annäherung an die Wirklichkeit, sondern sieht darin eine Hinwendung zum Schein.“ Der Kunst des noch nicht Wirklichen wird dabei eine höhere Wahrheit zugeschrieben als dem Reellen. Die Rationalität kann nicht länger als Prüfung gelten. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Außerdem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Judith Butler analysiert Gewalt und Nichtgewalt

Argumente für oder gegen Gewaltlosigkeit setzen voraus, dass man möglichst zwischen Gewalt und Nichtgewalt differenziert. Es gibt aber keinen einfachen Weg zu einer stabilen semantischen Unterscheidung. Denn der Unterschied zwischen Gewalt und Nichtgewalt wird oft zur Verschleierung und Erweiterung gewaltsamer Ziele und Praktiken benutzt. Deshalb fordert Judith Butler zu analysieren, wie diese Festlegungen des Gewaltbegriffs funktionieren. Man muss dabei akzeptieren, dass manche Menschen die Begriffe „Gewalt“ und „Gewaltlosigkeit“ unterschiedlich und täuschend verwenden. Dabei sollte man auf keinen Fall der nihilistischen Annahme nachgeben, Gewalt und Gewaltlosigkeit sei eben das, was die Machthaber dafür ausgeben. Zu den Anliegen von Judith Butler gehört es, die Schwierigkeiten anzunehmen und zu einer tragfähigen Definition von Gewalt zu gelangen. Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

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