Kulturelle Ressourcen kann man nicht besitzen

Es gibt keine französische oder europäische kulturelle Identität, dafür aber französische, europäische oder zu einer beliebigen anderen Kultur gehörende Ressourcen. François Jullien schreibt: „Identität wird definiert, Ressourcen werden inventarisiert. Man erkundet sie und beutet sie aus – das meine ich mit aktivieren.“ Was eine Ressource auszeichnet, ist schließlich gerade ihre Fähigkeit, etwas zu befördern. Eine weitere, eng mit dem Universellen korrelierende europäische Ressource scheint François Jullien die Förderung des Subjekts zu sein: weniger des Individuums – und damit des Individualismus mit seinem beschränkten Selbst – als vielmehr des Subjekts als eines „Ich“, das seine Stimme erhebt und, davon ausgehend, in der Welt die Initiative ergreift und somit ein Projekt anstößt, das angetan ist, die Begrenztheit dieser Welt aufzubrechen. François Jullien, geboren 1951 in Embrun, ist ein französischer Philosoph und Sinologe.

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Vor der Vergebung steht die Mäßigung des Zorns

Laut Charles Griswold ist Vergebung ein Prozess zwischen zwei Menschen, der eine Mäßigung des Zorns und das Aufgeben von Racheplänen umfasst. Aussicht auf Vergebung hat demnach nur, wer anerkennt, dass er der verantwortliche Täter war, sich von seinen Taten und von sich selbst als ihrem Urheber distanziert, dem oder der Verletzten gegenüber sein Bedauern ausdrückt, dass er ihr oder ihm diese Verletzung zugefügt hat und sich verpflichtet, jemand zu werden, der keine Verletzungen mehr zufügt, und diese Verpflichtung durch Taten und Worte unter Beweis stellt. Außerdem sollte er zeigen, dass er den durch die Verletzung zugefügten Schaden aus der Perspektive der verletzten Person versteht und glaubwürdig machen können, was ihn zudem Unrecht veranlasst hat, inwiefern sein Fehlerverhalten nicht alles über seine Person aussagt und was er unternimmt, um sich der Gewährung der Vergebung als würdig zu erweisen.

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Die unverzeihliche Schuld braucht einen Verzicht auf Vergeltung

Es gibt Schulden, die sind schlechterdings nicht abzahlbar. So gewaltig ist ihr Umfang, dass sie nie und nimmer zu begleichen sind. Für viele Ökonomen ist in derartigen Fällen ein Schuldenschnitt die einzig rationale Lösung. Auch moralische Schuld ist mitunter nicht wiedergutzumachen. Weder durch so genannte Reparationszahlungen noch durch Schmerzensgeld oder noch so aufrichtige Bekundungen des Bedauerns. Gerade eine solche im Grunde nie zu begleichende Schuld ist für den französischen Philosophen Jacques Derrida Gegenstand des Verzeihens. Svenja Flaßpöhler erklärt: „Nur eine unverzeihliche Schuld braucht einen Verzicht auf Vergeltung, weil jede verzeihliche Schuld sich sehr einfach begleichen lässt.“ Nur das Unverzeihbare, so Jacques Derrida wörtlich, „rufe“ nach Verzeihung. Dr. Svenja Flaßpöhler ist seit Dezember 2016 leitende Redakteurin im Ressort Literatur und Geisteswissenschaften beim Sender „Deutschlandradio Kultur“.

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Platon hat mit seiner Politeia ein ideales Gemeinwesen entworfen

Um 387/385 gründete Platon im Hain des Heros Hekademos am Stadtrand von Athen eine Institution, die zur Mutter aller Forschungs- und Lehreinrichtungen der folgenden Jahrtausende wurde: die Akademie. Bernd Roeck weiß: „Platon hat hier mit seiner „Politeia“ ein ideales Gemeinwesen entworfen, das nicht zuletzt, wie später die „Utopia“ Thomas Mores, ein Gegenbild zum realen Staat bot.“ Die Atmosphäre in der Akademie muss weltoffen und tolerant gewesen sein. Platon duldete abweichende Meinungen, so die seines nachmals berühmtesten Schülers Aristoteles. Kritischer Diskurs, ob im Schatten der Bäume im Freien oder in einem Vortragssaal unter den Statuen der neun Musen, war wohl alltäglich. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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Eine gute Handlung fördert das Gemeinwohl

Die Idee des Gemeinwohls ist aus einer philosophischen Bewegung des 18. Jahrhunderts, dem Utilitarismus, hervorgegangen. Francis Hutcheson, Jeremy Bentham und später John Stuart Mill setzten damals auf Messungen und Quantifizierung, um zu bestimmen, ob eine Handlungsweise gut ist. Dacher Keltner kennt ihr Ergebnis: „Eine Handlung ist in dem Maße gut, in dem sie das Gemeinwohl fördert, also das, was man heute als kollektives Wohlergehen eines sozialen Netzwerks bezeichnen würde, oder auch das Vertrauen in eine Gesellschaft oder ihre Stärke.“ Francis Hutcheson hat es so formuliert: „Diejenige Handlung ist die beste, die das größte Glück der größten Anzahl zeitigt, die schlechteste ist die, welche in gleicher Weise Unglück verursacht.“ Dacher Keltner ist Professor für Psychologie an der University of California in Berkeley und Fakultätsdirektor des UC Berkeley Greater Good Science Center.

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Jede Art des Gehens entspricht einer philosophischen Erfahrung

Die neue Sonderausgabe der Philosophie Magazins hat sich Gedanken zum Thema „Wandern“ gemacht. Und ist dabei unterwegs mit Thea Dorn, Michel Serres, Frédéric Gros, Gerd Kempermann und vielen anderen. Der Leser geht spazieren mit Henry David Thoreau, flaniert mit Walter Benjamin und schweift umher mit Jean-Jacques Rousseau. Im Gespräch mit Catherine Newmark erklärt Kurt Bayertz, Seniorprofessor für Philosophie an der Universität Münster, welche Bedeutung das aufrechte Gehen in der Philosophiegeschichte hat: „Eine Gemeinsamkeit, die sich durch die ganze Ideengeschichte zieht, besteht darin, dass der aufrechte Gang niemals nur als ein bloß zufälliges Faktum angesehen, sondern immer mit dem Wesen des Menschen in Verbindung gebracht wurde.“ In der Antike ist vor allem das Denken, dass als menschliches Alleinstellungsmerkmal aufgefasst und mit dem der aufrechte Gang in Verbindung gebracht wird.

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Rolf Dobelli vergleicht den Hedonismus mit der Eudämonie

Im 5. Jahrhundert vor Christus vertrat eine Minderheit der Philosophen, die sogenannten Hedonisten, die Meinung, dass ein gutes Leben aus dem Konsum möglichst vieler unmittelbarer Genüsse bestehe. Rolf Dobelli erklärt: „Das Wort hedonistisch stammt aus dem altgriechischen „hedoné“, was Freude, Vergnügen, Lust, Genuss, sinnliche Begierde bezeichnet.“ Die meisten Philosophen vertraten allerdings den Standpunkt, dass unmittelbare Genüsse nieder, dekadent, ja tierisch seien. Was ein gutes Leben ausmache, seine vor allem die sogenannten höheren Freuden. Das Streben nach diesen höheren Freuden nannten sie „Eudämonie“. Viele Philosophen kamen zu dem Schluss, die Eudämonie sei vor allem ein Gefäß für guten Tugenden. Nur ein ehrenhaftes Leben sei ein gutes Leben. Der Bestsellerautor Rolf Dobelli ist durch seine Sachbücher „Die Kunst des klaren Denkens“ und „Die Kunst des klugen Handelns“ weltweit bekannt geworden.

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Henri Bergson erweitert den Intellekt und die Intuition um den Instinkt

Der französische Denker Henri Bergson hat in seinem Werk „Schöpferische Entwicklung“ (1907) lange vor den maßgeblichen Erkenntnissen der Neurowissenschaften eine Philosophie des „Lebens“ entwickelt, in der er das Zusammenspiel von Intellekt und Intuition um den menschlichen Instinkt erweiterte. Der Instinkt ist nach Henri Bergson die Instanz, die das Material der persönlichen Erfahrungen, Erlebnisse und der Art und Weise, wie man diese wahrnimmt, bestimmt. Ina Schmidt ergänzt: „Er ist nicht an Zwecke oder Erkenntnisse gebunden, sondern beschreibt die unmittelbare Form der Wahrnehmung, die wir als Menschen haben. Dem Instinkt ist eigen, dass wir ihm folgen, ohne darüber nachzudenken beziehungsweise ohne logisch nachvollziehbare Gründe dafür angeben zu können.“ Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

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Ein sanftmütiger Mensch lässt sich nicht vom Affekt fortreißen

Wenn sich ein Mensch aus seiner narzisstischen Selbstverstrickung löst, wird ihm auf zweierlei Weise geholfen. Erstens ist er nicht mehr der Verzerrung eines Denkens unterworfen, das alles auf die eigene Person bezieht, und zweitens ist er gezwungen, das Wohl eines jeden zu berücksichtigen, nicht nur das der Partei, der Unrecht geschehen ist. Martha Nussbaum fügt hinzu: „Aristoteles macht einen ergänzenden Vorschlag: Ihm zufolge vermeidet wir unangebrachten Zorn aufgrund des Statusdenken, indem wir den Standpunkt der Person einnehmen, die uns verletzt hat. Aristoteles gibt der tugendhaften Veranlagung eine Bezeichnung, die auf denkbar wenig Zorn hindeutet: „Sanftmut“. Das Kennzeichen der Sanftmut sind triftige Gründe. Martha Nussbaum ist Philosophin und Professorin für Rechtswissenschaften und Ethik an der University of Chicago. Sie ist eine der einflussreichsten Philosophinnen der Gegenwart.

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Bei Platon ist die Liebe in erster Linie der Eros

Die Liebe versteht Platon ganz wesentlich als Eros, und der Text, in dem er diesen Eros diskutiert, ist das „Symposion“ oder „Gastmahl“. Der Liebesbegriff wird dabei im Kontext der Frage nach dem Schönen und Guten thematisiert, wobei sich im Verlauf des Werkes zusehends zeigt, dass diese eng mit der Frage nach dem Wesen der Philosophie überhaupt verbunden ist. Wie der Name des Werkes bereits nahelegt, bildet ein Gastmahl im Haus des Agathon den Rahmen, den Platon für die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand der Liebe gewählt hat. Der Text weicht von der sonst bei ihm üblichen Darstellungsweise insofern ab, als die Teilnehmer dieser Veranstaltung über weite Strecken Lobreden auf den Eros halten, welche die dialogische Form durchbrechen. Platon wurde 428/27 v. Chr. in Athen geboren und starb dort 348/47 v. Chr.

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Das Rätsel des menschlichen Intimlebens ist ein immerwährendes

In seinem wunderbaren Buch „Conditions of Love“ spricht der Philosoph John Armstrong von einem immerwährenden Rätsel des menschlichen Intimlebens. Er sagt, dass man oft einem Ideal der kompromisslosen Vereinigung von tiefer Liebe mit sexueller Erfüllung hinterherläuft, als könnte man, indem man die wahre Liebe in einer Person findet, für immer in ihm oder ihr die volle Befriedigung der eigenen sexuellen Wünsche finden. Der Hirnforscher und Neurowissenschaftler Giovanni Frazzetto ergänzt: „Das ist nicht unmöglich, und wenn es passiert, ist es ein tiefgreifendes Gefühl, ein starker Ausdruck der Hingabe.“ Wie jedoch bekannt ist, gibt der Sexualtrieb seine eigenen Motive dabei nicht auf. John Armstrong liefert eine kurze und schmerzhafte Lösung für dieses heikle Problem, vor dem die menschliche Natur steht. Er identifiziert zwei Wege, es zu umgehen.

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François Jullien verteidigt die kulturelle Fruchtbarkeit Europas

François Jullien verteidigt keine kulturelle Identität, sei es denn eine französische oder eine europäische, würde dies doch voraussetzen, dass man sie durch Unterschiede definieren, in ihrem Wesen fixieren oder in Begriffen der Zugehörigkeit bestimmen kann, also dass ich „meine“ Kultur besäße. François Jullien ergänzt: „Ich werde vielmehr die kulturelle Fruchtbarkeit Frankreichs und Europas verteidigen, wie sie sich durch erfinderische Abstände/Abweichungen entfaltet hat. Ich verteidige sie, weil ich ihr das wegen meiner Erziehung schulde und weil ich folglich für ihre Entfaltung und Weitergabe mitverantwortlich bin.“ Und dennoch wird sie François Jullien niemals besitzen. Ist es nicht offensichtlich, dass es oft Fremde sind, die für diese Ressourcen und diese Fruchtbarkeit ein besonderes Gespür haben? François Jullien, geboren 1951 in Embrun, ist ein französischer Philosoph und Sinologe.

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Veränderungen im Leben sind jederzeit möglich

Wer zu viel erwartet, was künftig sein soll, der übersieht, was an Gutem schon da ist. Er macht sich permanent unglücklich, weil er die Gegenwart als unzureichend erlebt. Oder anders gesagt: „Anspruch ist Ablehnung“. Für Reinhard K. Sprenger ist es Selbstbetrug, sein Leben in das aufzuteilen, was ist, und das, was sein sollte. Für ein glückliches Leben ist es sehr praktisch, zu sehen, dass es für das Erleben streng genommen nur den Schwebepunkt der Gegenwart gibt. Reinhard K. Sprenger erklärt: „Der Augenblick stellt den einzigen Berührungspunkt mit der Wirklichkeit dar, ja er ist die gesamte Wirklichkeit. Die Vergangenheit ist vergangen, und Zukunft wird es im bewussten Erleben des Einzelnen nie geben.“ Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

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Das metaphysische Begehren strebt nach dem absolut Anderen

„Das wahre Leben ist abwesend.“ Aber die Menschen sind auf der Welt. In diesem Alibi erhebt und hält sich die Metaphysik. Emmanuel Levinas erklärt: „Sie ist dem „Woanders“ zugewandt, dem „Anders“ und dem „Anderen“.“ In ihrer allgemeinen Form, die sie in der Geschichte des Denkens angenommen hat, erscheint die Metaphysik in der Tat als eine Bewegung, die ausgeht von einem „Zuhause“, das der Mensch bewohnt, von einer ihm vertrauten Welt – mögen auch an ihren Randzonen noch unbekannte Gebiete liegen oder verborgen sein –,und die hingeht zu einem fremden Außersich, zu einem „Da drüben“. Das Ziel dieser Bewegung – das Woanders und das Andere – heißt „anders“ in einem ausgezeichneten Sinne. Der französisch-jüdische Philosoph Emmanuel Levinas (1905 – 1995) lehrte Philosophie in Nanterre und an der Sorbonne in Paris.

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Die Lust selbst ist weder gut noch böse

Für Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) gehört die zelebrierte Grausamkeit „zur ältesten Festfreude der Menschheit“. Die Lust am Anblick Gequälter rechtfertigte man lange damit, dass die Götter an Opfern und Märtyrern Gefallen fänden. Ludger Pfeil fügt hinzu: „Auch bei harmloseren Bosheiten geht es dem Täter nicht vorrangig um das Leiden der anderen, sondern um den eigenen Genuss daran, der dann allerdings den mitfühlenden Blick auf den anderen verstellt.“ Friedrich Nietzsche schreibt: „Schon jede Neckerei zeigt, wie es Vergnügen macht, am anderen unsere Macht auszulassen.“ Die Lust selbst ist weder gut noch böse; eventuell damit verbundene Unlust eines anderen macht den Menschen laut Friedrich Nietzsche nur im Hinblick auf mögliche Strafe oder Rache Sorgen. Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

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Die Kontrollierbarkeit von Ereignissen ist oft eine Illusion

Illusionen der Kontrolle sind scheinbar gut für das Wohlbefinden eines Menschen. Viele Studien zeigen, dass die sogenannten Überzeugungen der Selbstwirksamkeit – also die Überzeugung, in einer schwierigen Situation das tun zu können, was nötig ist – stark beeinflussen, wie man sich in einer Situation verhält. Interessant ist, dass Menschen außerordentlich raffiniert darin sein können, sich ihre Illusionen der Kontrolle auch dann zu erhalten, wenn einige Beweise gegen sie sprechen. Selbsttäuschungen, mit deren Hilfe sich Menschen von nicht mehr haltbaren Kontrollillusionen verabschieden, kommen durchaus häufig vor. Nach dem Motto: Wenn man etwas nicht haben kann, will man es plötzlich auch gar nicht mehr. Illusionen der Kontrolle sind in der Sprache der Psychologie adaptiv. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Komplexität kann man nicht beliebig vereinfachen

Komplexität beschreibt das sinnvolle Zusammenspiel verschiedener Strukturen, die durch Interaktionen Verbindungen knüpfen und so einen sinnvollen Zusammenhang bilden: Menschen knüpfen lebendige Beziehungen. Je mehr Fäden ein persönliches Beziehungsnetz hat, beziehungsweise der Sinnzusammenhang, in den man eingebunden ist, desto komplexer ist das soziale Gebilde, das daraus entsteht. Der Psychologieprofessor Dietrich Dörner hat in seinem Buch „Die Logik des Misslingens“ Komplexität als „die Existenz von vielen, voneinander abhängigen Merkmalen in einem Ausschnitt der Realität“ bezeichnet. Ina Schmidt ergänzt: „Komplexität erhöht sich demnach in Abhängigkeit der Anzahl der Merkmale sowie ihrer Verbindungen untereinander, die zu dem jeweiligen Realitätsausschnitt gehören.“ Ina Schmidt gründete 2005 die „denkraeume“, eine Initiative, in der sie in Vorträgen, Workshops und Seminaren philosophische Themen und Begriffe für die heutige Lebenswelt verständlich macht.

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Es kann nicht so weitergehen wie bisher

Die Wiederentdeckung des Gefühls oder gar die Bewusstwerdung der eigenen Würde, ist mit dem, was das Streben nach Anerkennung und Erfolg den Menschen abverlangt, unvereinbar. Woran sollen sich die Menschen orientieren bei dem, was sie vorfinden, weil es sich in dieser Weise bisher so entwickelt hat, oder an dem, wie es sein müsste, damit sie das, was sie als Menschen ausmacht, bewahren und weiterentwickeln können? Gerald Hüther betont: „Die Ansammlung von Wissen hat uns bei der Suche nach Antworten auf diese wichtige Frage nicht so recht weitergebracht. Wir wissen längst, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann.“ Aber auch wenn dieses Wissen nicht einfach nur von anderen übernommen, sondern durch Nachdenken aus der eigenen Erkenntnis gewonnen wird, hat das, was man dann erkannt hat, meist keine unmittelbaren Auswirkungen auf das persönliche Handeln. Gerald Hüther zählt zu den bekanntesten Hirnforschern in Deutschland.

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Der Mensch gibt sich durch die Verwendung von Zeichen Sinn und Orientierung

Laut Ernst Cassirer (1874 – 1945) ist der Mensch vor allem ein zeichenverwendendes und zeichenhervorbringendes Wesen – ein „animal symbolicum“. Wolfram Eilenberger ergänzt: „Er ist mit anderen Worten ein Wesen, das sich selbst und seiner Welt durch die Verwendung von Zeichen Sinn, Halt und Orientierung gibt. Das wichtigste Zeichensystem des Menschen ist dabei seine natürliche Muttersprache.“ Doch gibt es zahlreiche andere Zeichensysteme – in Ernst Cassirers Begrifflichkeit: „symbolische Formen“ –, etwa die des Mythos, der Kunst, der Mathematik oder der Musik. Diese Symbolisierungen, seien es sprachliche, bildliche, akustische oder gestische Zeichen, verstehen sich in der Regel nicht von selbst. Der fortlaufende Prozess, in dem Zeichen in die Welt gesetzt und durch andere Menschen interpretiert und verändert werden, ist der Prozess der menschlichen Kultur. Wolfram Eilenberger war langjähriger Chefredakteur des „Philosophie Magazins“, ist „Zeit“-Kolumnist und moderiert „Sternstunden der Philosophie im Schweizer Fernsehen.

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Der sokratische Dialog ist die mächtigste Waffe der Aufklärung

Das Auftreten des Philosophen Sokrates und das Denken der Sophisten markieren deshalb einen Einschnitt in die Geschichte der Philosophie, weil man nun systematisch daran ging, die alles Tun und Lassen leitenden Normen ausschließlich aus der Vernunft zu begründen. Platon sieht in der Methode, die das Gespräch bestimmt, der Dialektik, eine Gabe der Götter, die „irgendein Prometheus“ den Menschen zugleich mit dem Feuer gebracht habe. Bernd Roeck erläutert: „Der sokratische Dialog ist die mächtigste Waffe der Aufklärung, der Wahrheits- und Weisheitssuche geweiht, ethisch und ätzend zugleich.“ Oft durchflittern ihn subversive Elemente, Ironie blitzt auf, Sarkasmus mischt sich dazwischen. Häufig ist schwer zu beurteilen, welchem Gesprächsteilnehmer, welcher Position die Sympathie eines Autors gehört. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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Konrad Paul Liessmann begibt sich auf die Suche nach dem Selbst

Es kann sein, dass jemand nicht nur mit seinem Wissen, seinen Fähigkeiten, seinem Ich-Gefühl und seinem Affekthaushalt unzufrieden ist, sondern mit seinem Selbst insgesamt und es gezielt durch Bildung verändern will. Solch ein Mensch möchte ein Selbst vielleicht erst finden, herausfinden, wer er eigentlich ist, unter Umständen überhaupt ein anderer werden. Konrad Paul Liessmann warnt: „Die Gefahr ist groß, dass dieser Mensch in eine Situation gerät, die man das Kierkegaard-Paradoxon nennen könnte.“ Der dänische Philosoph Sören Kierkegaard hat in seinem epochalen Buch „Die Krankheit zum Tode“ die These entfaltet, dass Identitätskrisen prinzipiell die Form der Verzweiflung und der Verzweiflung prinzipiell die Form der Identitätskrise zukommt. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Es gibt drei Möglichkeiten für ein geglücktes Geschlechterverhältnis

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazin 04/2018 lautet: „Männer und Frauen: Wollen wir dasselbe?“ Es gibt drei Möglichkeiten für ein geglücktes Geschlechterverhältnis: Erstens klare Regeln, die sexueller Übergriffigkeit einen Riegel vorschiebt. Zweitens Selbstermächtigung. Die Kulturwissenschaftlerin Mithu M. Sanyal fordert Frauen auf, in eine aktive Sexualität zu finden, anstatt eine Gesellschaft zu fordern, die sie vor allen erdenklichen Verletzungen schützt. Drittens das Verstehen. In einem „Spiel der Verführung“ lernen sich Frau und Mann endlich wirklich kennen. Laut Svenja Flaßpöhler, Chefredakteurin des Philosophie Magazins, braucht es ein Geschlechterverhältnis, das Lust aus der Differenz zieht, anstatt sich von ihr zerstören zu lassen. Die ausdrückliche Zustimmung beim Sex gehört zu den Kernforderungen der #metoo-Bewegung. Kritiker befürchten deshalb einen neuen Puritanismus. Nils Markwardt vertritt in seinem Artikel die These, dass eher das Gegenteil zutrifft.

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Immanuel Kant stellt die Frage: „Was ist der Mensch?“

Die Frage „Was ist der Mensch?“ bildete bereits das Leitmotiv der Philosophie Immanuel Kants. Sein gesamtes kritisches Denken geht dabei von einer ebenso einfach wie unabweisbaren Beobachtung aus: Der Mensch ist ein Wesen, das sich Fragen stellt, die er letztlich nicht beantworten kann. Wolfram Eilenberger fügt hinzu: „Diese Frage betreffen insbesondere die Existenz Gottes, das Rätsel der menschlichen Freiheit und die Unsterblichkeit der Seele. In einer ersten kritischen Bestimmung ist der Mensch also ein „metaphysisches“ Wesen.“ Doch was folgt daraus? Für Immanuel Kant eröffnen diese metaphysischen Rätsel, gerade weil sie sich nicht abschließend beantworten lassen, dem Menschen einen Horizont möglicher Vervollkommnung. Wolfram Eilenberger war langjähriger Chefredakteur des „Philosophie Magazins“, ist „Zeit“-Kolumnist und moderiert „Sternstunden der Philosophie im Schweizer Fernsehen.

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Faulheit hindert einen Menschen an jeder Form von Tätigkeit

Wer Mut zur Faulheit machen will, verstrickt sich automatisch in einen Widerspruch. Wer die Faulheit ernst nimmt und sie praktizieren will, kann darüber nur wenig sagen, allenfalls müsst er sein Anliegen verraten und fleißig werden. Faulheit hindert einen Menschen an jeder Form von Tätigkeit. Faulheit ist das Gegenteil von Tätigkeit, der Faule ist der Untätige, und dennoch sie ist das „höchste Gut“, das seinem Besitzer ein „ungestörtes Leben“ verspricht. Konrad Paul Liessmann weiß aber auch: „Als höchstes Gut aber, als „summum bonum“ galt den Alten das Glück oder die Glückseligkeit. Dennoch kann man sich die Frage stellen, ob auch Faulheit glücklich machen könnte. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Der Optimismus der Menschen vor 1914 war schier grenzenlos

Karl Marx und andere progressive Denker haben ein Geschichtsbild geformt, in dem der Fortschritt zentral ist und alle historischen Hindernisse überwunden werden können. Philipp Blom erläutert: „Im 19. Jahrhundert war dieser Gedanke mehr als verständlich. Wissenschaft und Industrie schienen täglich neue Wunder zu vollbringen, und im Laufe der Jahrzehnte wurden Armut und Krankheiten immer weiter zurückgedrängt.“ Es schien, als sei die Zivilisation tatsächlich imstande, ein Neues Jerusalem zu bauen und Hunger, Armut, Unwissenheit und Krieg völlig auszurotten. Es ist heute schwer nachzuvollziehen, von welchem Optimismus viele Menschen in den westlichen Ländern vor 1914 getragen waren. Alles schien lösbar, alles schien möglich, die Kraft der Zivilisation schien unbegrenzt. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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