Carol Gilligan reklamiert eine eigene weibliche Auffassung der Moral

Carol Gilligan, die in Harvard als Psychologie-Professorin lehrte, erhebt gegen die ihrer Ansicht nach männlich geprägte individualistische und rationale Moral der Gerechtigkeit „Die andere Stimme“ eines solidarischen, gemeinschaftsorientierten Entwurf einer Moral, der aus Beziehungen und Kontexten erwachsende Pflichtgefühl in den Mittelpunkt stellt. Ludger Pfeil erklärt: „Gilligan fand in ihren Untersuchungen zur Moralpsychologie heraus, dass Frauen moralische Konflikte lösen, indem sie auf bestimmte Tugenden wie Rücksichtnahme und Hilfeleistung Bezug nehmen, während sich Männer eher an Gerechtigkeitsidealen orientieren und eine damit verbundene abstraktere Perspektive einnehmen.“ Rollen- und kontextbezogene Informationen wie persönliche Bindungen sind für Frauen wichtiger, um eine Entscheidung zu treffen. Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

Carol Gilligans moralischer Imperativ ist das „Gebot der Anteilnahme“

Carol Gilligan reklamiert eine eigene weibliche Auffassung der Moral, die sich an der Fürsorge für sich und andere ausrichtet. Auch in ihrer Moral stehen Pflichten, die bei ihr aus der Empathie erwachsen, im Vordergrund. Ihr moralischer Imperativ ist das „Gebot der Anteilnahme“. Damit meint Carol Gilligan eine „Verantwortung, die wirklichen und erkennbaren Nöte dieser Welt wahrzunehmen und zu lindern.“ Carol Gilligan glaubt, dass sich für heranwachsende Mädchen und Jungen dieselben Konflikte zwischen Integrität und Zuwendung stellen.

Ihre Antworten fallen jedoch unterschiedlich aus und können zu „moralischen Ideologien“ zugeordnet werden – einer männlichen Ethik der Rechte und einer weiblichen Ethik der Zuwendung. Die Zuordnung zu Geschlechtern ist jedoch auch bei Carol Gilligan mehr Tendenz als Dogma. Ludger Pfeil erläutert: „Die Perspektiven bleiben ohnehin nicht unversöhnlich, sondern werden im Laufe der moralischen Entwicklung als sich ergänzend entdeckt und in eine Gesamtsicht integriert.“ Pflichtbewusste müssen nicht auf der abstrakten rationalen Ebene argumentieren, sondern können auch Gefühle des Mitleids und der Liebe in ihrer Fürsorge für andere zur Grundlage machen.

Selbstdisziplin war von Platon bis zu den Stoikern ein gängiges Thema

Aus einer gelungenen Verbindung zwischen beiden Sichten ergibt sich die Chance zum Ausgleich der Defizite einer zu unnachgiebigen Orientierung an Regeln. Carol Gilligan schreibt: „Für Frauen vollzieht sich die Integration von Recht und Verantwortlichkeiten durch ein Verständnis der psychologischen Logik von Beziehungen. Dieses Verständnis mäßigt das selbstzerstörerische Potential einer selbstkritischen Moral, indem es auf das Bedürfnis aller Menschen nach Zuwendung hinweist.“ Sich selbst in die Pflicht zu nehmen ist dagegen bei den meist männlichen ethischen Hardlinern ein verbreiteter Wesenszug.

Ludger Pfeil erklärt: „Selbstdisziplin – über sich selbst zu bestimmen und sich selbst zu kommandieren – war von Platon bis zu den Stoikern ein gängiges Thema und beinhaltet immer ein Herrschaftsverhältnis, wenn auch nur sich selbst gegenüber.“ Noch für Friedrich Nietzsche besteht der vielzitierte „Wille zur Macht“ vor allem über die Macht über sich selbst, in Selbstüberwindung, -härte und -disziplin. Und Jean-Paul Sartres existentialistische Entscheidung beinhaltet ebenfalls eine unerbittliche Selbstverpflichtung. Quelle: „Du lebst, was du denkst“ von Ludger Pfeil

Von Hans Klumbies