Blaise Pascal erforscht die Kraft der Einbildung

Die Kraft der Einbildung ist jener dominierende Teil im Menschen, jene Herrin über Irrtum und Falschheit, und sie ist umso trügerischer, als sie dies nicht immer ist. Blaise Pascal schreibt: „Denn sie wäre ja ein unfehlbarer Maßstab für die Wahrheit, wenn sie auch unfehlbar in Bezug auf die Lüge wäre. Da sie jedoch in den allermeisten Fällen im Irrtum ist, gibt sie uns kein Material für ihre Qualität an die Hand und zeigt das Wahre und das Falsche auf dieselbe Weise.“ Blaise Pascal spricht in diesem Zusammenhang nicht von Verrückten, sondern von den Allerweisesten: Bei ihnen hat die Einbildung das starke Recht, die Menschen zu überzeugen. Da mag die Vernunft noch so laut schreien, sie kann den Wert der Dinge nicht festsetzen. Das Universalgenie Blaise Pascal (1623 – 1662) gehört zu den schillerndsten Gestalten der Philosophiegeschichte.

Die Einbildung steht der Vernunft feindselig gegenüber

Diese herrliche Kraft der Einbildung, die der Vernunft feindselig gegenübersteht und sich darin gefällt, sie zu kontrollieren und zu beherrschen, hat, um zu zeigen, wie viel sie in jeder Hinsicht vermag, im Menschen eine zweite Natur geschaffen. Sie kennt ihre Glücklichen und Unglücklichen, ihre Gesunden und Kranken, ihre Reichen und Armen. Blaise Pascal ergänzt: „Sie ist es, die dafür sorgt, dass man der Vernunft Glauben schenkt, dass man an ihr zweifelt und dass man sie verleugnet. Sie setzt die Sinne außer Kraft und lässt sie empfinden.“

Die Einbildungskraft kennt ihre Verrückten und ihre Weisen, und nichts bereitet ihr mehr Verdruss als zu sehen, dass sie diejenigen, die sie bei sich aufnehmen, mit einer Zufriedenheit erfüllt, die in ganz anderer Weise vollkommen und ohne Mangel ist als diejenige, welche die Vernunft verleiht. Die Menschen, die mit der Einbildungskraft besonders ausgestattet sind, haben an sich selbst auf völlig andere Weise Gefallen als die klugen vernünftigerweise an sich Gefallen finden können. Sie betrachten die Leute mit dem Bewusstsein der Macht, sie diskutieren kühn und mit Selbstvertrauen.

Die Vernunft lenkt der Wind in alle Richtungen

Die Klugen hingegen sind furchtsam und leiden an einem Mangel an Selbstvertrauen. Menschen mit viel Einbildungskraft haben einen vor Selbstbewusstsein strotzenden Gesichtsausdruck, der ihnen oft den Vorteil in der Meinung der Zuhörer verschafft. So großer Gunst erfreuen sich die eigebildeten Weisen bei jenen, die sie beurteilen und von gleichem Wesen sind. Die Einbildung kann die Verrückten nicht weise machen, aber sie macht sie glücklich im Gegensatz zur Vernunft, die ihre Freunde nur unglücklich machen kann. Die eine überhäuft sie mit Ruhm, die andere mit Schmach.

Blaise Pascal schreibt: „Wenn der größte Philosoph der Welt auf einem Brett über einem Abgrund steht, das breiter als nötig ist, dann kann ihn die Vernunft noch so sehr davon überzeugen, dass er sicher ist: Die Einbildungskraft wird obsiegen.“ Blaise Pascal will nicht alle Wirkungen der Einbildungskraft aufzählen. Wer wüsste aber nicht, dass der Anblick von Katzen, Ratten, das Zerbrechen eines Stücks Kohle und so weiter die Vernunft außer Kraft setzen. Wie amüsant ist doch die Vernunft, die ein Wind lenkt, und zwar in alle Richtungen. Quelle: „Gedanken“ von Blaise Pascal