Pythagoras sucht das Konstruktionsprinzip der Welt

Schon mit der ionischen Naturphilosophie, die ihre Anfänge im Milet des 7. Jahrhunderts vor Christus hat, traten Gesetzmäßigkeiten neben Götter und Dämonen. Bernd Roeck nennt ein Beispiel: „Thales von Milet soll ein Erdbeben als Folge der Bewegung des Meeres – und eben nicht als Ausdruck von Poseidons Zorn – gedeutet haben.“ Anaximander von Milet (um 625 – 547 v.Chr.), Konstrukteur einer ersten Sonnenuhr, suchte nach einem „Urstoff“, aus dem alles kommen sollte. Das Universum wird bei ihm zu einem ungeheuren Organismus, der lebt, vergeht und wiederentsteht. Anaximander war der erste Mensch, der sich den Kosmos als ewig, mithin ungeschaffen vorstellte. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

Im Zentrum der Lehre des Pythagoras steht die Zahl

Der große Denker Pythagoras von Samos (um 570 – 480 v.Chr.) lebte mit seinen Schülern seit etwa 530 in Kroton. Seine Studenten teilten dort mit ihrem Meister Gedanken und ein asketisches Leben. Pythagoras erscheint in der Überlieferung als charmanter, ja gottgleicher Weiser, als Heiler, Magus und Prophet ältester religiöser Wahrheiten. Im Zentrum seiner Lehren steht die Zahl. Zahlen und Proportionen, wie sie sich in den fünf regelmäßigen Körpern oder im Goldenen Schnitt zeigen, schienen auf ein Konstruktionsprinzip der Welt zu verweisen.

Bernd Roeck erläutert: „Aus der Beobachtung, dass musikalische Harmonien Entsprechungen zu geometrischen Verhältnissen aufweisen, und aus der Regelhaftigkeit der Planetenbewegungen folgerte Pythagoras, dass die Welt nach harmonischen Gesetzen aufgebaut sei.“ Auch lehrte er, dass die unsterbliche Seele von Lebewesen zu Lebewesen wandere. Der Mensch sollte sein Leben in Übereinstimmung mit dem wohlgeordneten Kosmos gestalten. In der Mitte des Weltmodells der Pythagoreer loderte ein mächtiges Zentralfeuer.

Gott wurde von einem anthropomorphen Wesen zum Abstraktum

Dieses Zentralfeuer erschien als der Herd des Weltgebäudes, um den außer Erde, Mond und Sonne die damals bekannten fünf Planeten in zueinander proportionalen Abständen und Geschwindigkeiten kreisten. Das sich, die Fixsternsphäre eingerechnet, nur neun Himmelskörper ergaben, setzten die Pythagoreer noch eine „Gegenerde“ voraus. So sollte die vollkommenere Zehnzahl erreicht werden. Durch die Bewegung der Himmelskörper, so glaubten sie, erklänge überirdische Sphärenharmonie. Ein Späterer, Aristarch von Samos (310 – 230 v.Chr.) vertrat gar die Auffassung, die Fixsterne und die Sonne seien unbeweglich und die Erde umkreise die Sonne.

Dem Denken der Pythagoreer nahe ist Empedokles, ebenfalls ein Mann des gloriosen 5. Jahrhunderts, der zu den Begründern der Lehre von den vier Elementen Erde, Wasser, Feuer und Luft zählt. Mit Demokrit war er Wegbereiter der Atomphysik. Bernd Roeck erklärt: „Alle Dinge der physischen Welt sah er aus kleinen Teilchen jener vier unteilbaren Urstoffe zusammengesetzt.“ Selbst Gott wurde von einem anthropomorphen Wesen zum Abstraktum. Der sich orakelhaft äußernde Heraklit fasste ihn als Gesamtheit der Dinge, die wie der vernünftig redende Logos die Gegensätze vereine. Quelle: „Der Morgen der Welt“ von Bernd Roeck

Von Hans Klumbies