Der Florentiner Brunetto Latini (1220/30 – 1294), zur Zeit der Volksregierung Kanzler des zerspaltenen Florenz, war immer wieder in politische Auseinandersetzungen verstrickt und musste zeitweilig ins französische Exil weichen. Er übersetzte Texte Ciceros in die Volkssprache und sorgte so dafür, dass sie Verbreitung fanden. Bernd Roeck weiß: „Sein Cicero war weniger der Philosoph als der Staatsmann und Verteidiger republikanischer Freiheit, für die auch Latini leidenschaftlich eintrat.“ Auf den eigenen Kirchturm blickender Bürgerstolz, der aus dem Widerspruch gegen die Ritterkultur und die von ihr angefeuerten selbstmörderischen Parteienkämpfe in Italiens Stadtgesellschaften genährt wurde, zählte zu den wichtigsten Voraussetzungen des frühen Humanismus. Als dessen erster Vertreter gilt der Paduaner Lovato de` Lovati (1240 – 1309). Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.
Albertino Mussato schuf die erste nachantike Tragödie
Albertino Mussato (1261 – 1329), auch ein Paduaner, schritt auf dem von Lovato geebneten Weg fort. Er brachte es zu vielgefragten Notar und Rat seiner Vaterstadt. Immer wieder geriet er, der wortmächtige Verteidiger kommunaler Freiheit, in Schwierigkeiten. Trost bot ihm Seneca. Dessen Vorbild prägt auch Mussatos Hauptwerk „Ecerinis“. Es handelt vom Aufstieg und Fall des Veroneser Tyrannen Ezzelino de Romano und seines Clans. Mussato schuf damit die erste nachantike Tragödie, zudem ein Stück, in dem auch Bürgern ein Part gewährt ist.
Sie gaben den Chor, der sein städtisches Publikum zur Identifikation einlud, etwa wenn er die Wiederherstellung des Friedens pries. Zur öffentlichen Premiere des Dramas schlossen alle Geschäfte Paduas. Mussato wurde 1315 als erster Dichter seit der Antike öffentlich mit dem Lorbeer gekrönt. Diesem Höhepunkt seiner Laufbahn folgte ein Jahrzehnt später tiefer Fall: Die Carrara, die sich kurz darauf Paduas bemächtigten, zwangen ihn ins Exil. Er starb als Verbannter im venezianischen Chioggia.
Die „schönen Wissenschaften“ umfassten vier freie Künste
Lovato de` Lovati und Mussato zählten zu den Begründern des Humanismus, einer der wichtigsten geistigen Strömungen der Neuzeit. Der Begriff stammt aus dem 19. Jahrhundert; den Humanisten „umanista“, kannte indes schon die Renaissance. Als einen, „der die schönen Wissenschaften treibet“, übersetzte das 18. Jahrhundert das Wort. „Schöne Wissenschaften“ das waren mit dem Florentiner Kanzler Lino Coluccio Salutati (1331 – 1406) die „studia humanitatis“.
Sie umfassten für ihn vier freie Künste, nämlich Grammatik, Rhetorik, Poesie und Moralphilosophie, dazu die Geschichte – Menschenwissenschaften, die Reden, Dichten und rechtes Handeln lehrten. Von Logik, Mathematik, Medizin, Jurisprudenz und Theologie blieb der Kanon nicht streng abgegrenzt. Bernd Roeck ergänzt: „Ebenso wenig werden die Humanisten als Gruppe fassbar, obgleich viele durch Briefwechsel untereinander verbunden waren und sich lokale Zirkel bildeten, zuerst vielleicht in Paduas Kneipen.“ Quelle: „Der Morgen der Welt“ von Bernd Roeck
Von Hans Klumbies