Autonomie und Selbstverwirklichung gibt es auch in einer Partnerschaft

Im Titelthema geht das neue Philosophie Magazin 01/2025 der Frage nach: „Können wir noch zusammen sein?“ Chefredakteurin Svenja beantwortet die Frage mit Ja. Das funktioniert aber nur, wenn ein Paar Streit zulässt, anstatt ihn krampfhaft zu bekämpfen. Denn ein Streit dynamisiert Beziehungen, hält sie lebendig – und ermöglicht so Substanz und Dauer. Aber es gibt natürlich Fälle, in denen sehr starke Gründe für ein Beziehungsende sprechen, etwa Gewalt, Demütigung und Respektlosigkeit. Doch ein Großteil der Kontaktabbrüche dürfte heute auf andere Weise motiviert sein: vom Gefühl, dass die Beziehung dem eigenen Streben nach Autonomie und Selbstverwirklichung entgegensteht. In einer Partnerschaft gilt es, sich zu öffnen, Veränderungen zuzulassen und sich mit vielleicht bislang unbeachtete Seiten der eigenen Persönlichkeit auseinanderzusetzen. Wenn das gelingt, kann es eine Selbstverwirklichung in tieferem Sinne bedeuten.

Eine gelingende Selbstverwirklichung ist nicht ohne Selbstbegrenzung möglich

Mit dem Zuwachs an Verlusten umzugehen, ist für den Soziologen Andreas Reckwitz die zentrale Herausforderung der Gegenwart. Er definiert Verlust wie folgt: „Wir müssen zwischen Verschwinden und Verlust unterscheiden. Und zwar ist Verschwinden nur dann ein Verlust, wenn etwas betrauert oder, allgemeiner, wenn das Verschwinden negativ bewertet wird.“ Andreas Reckwitz vertritt zudem die These, dass ein eine gelingende Selbstverwirklichung nicht ohne Selbstbegrenzung, eine Einsicht in die Begrenztheit der eigenen Steuerungsmöglichkeiten gibt.

Der Philosoph Wolfram Eilenberger erzählt in seinem neuen Buch „Geister der Gegenwart“ eine Denkgeschichte der ersten Nachkriegsjahrzehnte. Es geht um Michel Foucault, Theodor W. Adorno, Susan Sontag und Paul Feyerabend. Diese vier Denker verkörpern für Wolfram Eilenberger ein philosophisches Existenzideal, das er für ebenso wichtig wie bedroht hält: Alle vier suchten einen Ausweg in neue Mündigkeit. Sie hatten den Eindruck, dass sie sowohl in ihrer privaten Existenz als auch in der Gesellschaft und ihrer akademischen Umgebung dieser Mündigkeit ermangeln. Sie wollten sie philosophierend für sich gewinnen.

Emotionen werden sozial geformt und angeheizt

Der Klassiker heißt diesmal Richard Rorty. Der US-amerikanische Philosoph war der Meinung, dass ein Philosoph nicht dazu befähigt ist, eine ideale Theorie der Welt zu konzipieren und ewig gültige Wahrheiten zu entdecken. Philosophische Theorien sind für ihn vor allem Kinder der Zeit, in denen sie verfasst wurden. Richard Rorty vertritt folgende These: Erkenntnis besteht nicht im Abbilden einer Realität, sondern sie ist vielmehr im argumentativen Austausch und sozialen Umgang miteinander zu finden.

Das Buch des Monats stammt von französisch-israelischen Soziologin Eva Illouz und trägt den Titel „Explosive Moderne“. Die Autorin beschreibt darin die Einbettung der menschlichen Emotionen in die Narrative und Institutionen der Moderne. Denn Eva Illouz weiß: Emotionen werden sozial geformt und angeheizt. Sie untersucht in neun Kapiteln, welche Gefühle unserer Zeit am stärksten brodeln: Hoffnung, Enttäuschung, Neid, Zorn, Furcht, Nostalgie, Scham und Stolz, Eifersucht und Liebe.

Von Hans Klumbies