Amartya Sen kennt die globalen Wurzeln der Demokratie

Die Demokratie wir oft als eine typisch westliche Idee hingestellt, die der nicht-westlichen Welt fremd ist. Die Probleme vor dem der Westen heute im Nahen Osten und überall sonst steht, schätzt man laut Amartya Sen vollkommen falsch ein. Oft wird bezweifelt, dass es den westlichen Ländern gelingen wird, dem Irak oder einem sonstigen Land die Demokratie „aufzuzwingen“. Für Amartya Sen besteht jedoch nicht der geringste Zweifel daran, dass die modernen Begriffe von Demokratie und öffentlichem Diskurs stark von europäischen und amerikanischen Analysen und Erfahrung beeinflusst wurden. Insbesondere von der geistigen Kraft der europäischen Aufklärung. Dazu gehören die Beiträge von Demokratietheoretikern wie Marquis de Condorcet, James Madison, Alexis de Tocqueville und John Stuart Mill. Amartya Sen ist Professor für Philosophie und Ökonomie an der Harvard Universität. Im Jahr 1998 erhielt er den Nobelpreis für Ökonomie.

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Der Zufall ist oft ein entscheidende Faktor im Leben

Christian Busch zeigt in seinem Buch „Erfolgsfaktor Zufall“ wie Menschen die verborgene Kraft, die ihr Leben formt, erkennen und nutzen können: den Zufall. Er beschreibt, wie unerwartete Momente den sozialen Alltag erweitern und neue berufliche und private Möglichkeiten schaffen können. Trotz aller Planung, Konzeption und Strategie scheint ein weiterer Faktor sehr wichtig zu sein: das Unerwartete. Christian Busch schreibt: „Tatsächlich sind unvorhergesehene Ereignisse, zufällige Begegnungen oder scheinbar bizarre Zufälle nicht nur kleine Ablenkungen oder Streuverluste in unserem Leben. Der Zufall ist oft der entscheidende Faktor, die Kraft, die den größten Unterschied für unser Leben und unsere Zukunft ausmacht.“ Prof. Dr. Christian Busch ist Direktor des CGA Global Economy Programs an der New York University (NYU) und lehrt auch an der London School of Economics and Political Science (LSE).

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Die Naturwissenschaften bieten Zuverlässigkeit

Trotz aller Unsicherheiten bieten die Naturwissenschaften Zuverlässigkeit. Isaac Newtons Theorie verliert durch die neuen Erkenntnisse Albert Einsteins keineswegs ihren Wert. Theorien haben Geltungsbereiche, die dadurch bestimmt sind, wie präzise Wissenschaftler die Welt beobachten und vermessen. Carlo Rovelli erklärt: „Isaac Newtons Theorie verliert nichts von ihrer Stärke und Zuverlässigkeit, solange sie auf Objekte angewendet wird, die sich deutlich langsamer als Licht bewegen.“ In gewisser Weise wird Newtons Theorie durch Einsteins Erkenntnisse sogar gestärkt, denn nun weiß man zudem genau, in welchem Bereich sie anwendbar ist. Heute kann man sogar so weit gehen zu sagen, das Generieren von Vorhersagen sei der nützliche und zuverlässige Teil einer Theorie. Der Rest ist nur Beiwerk. Seit dem Jahr 2000 ist Carlo Rovelli Professor für Physik an der Universität Marseille.

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Danielle Allen fordert eine vernetzte Gesellschaft

Laut Danielle Allen benötigt man politische Rahmenbedingungen, die dazu beitragen, dass man eine „vernetzte Gesellschaft“ erreicht. Nur so kann das Ideal „sozialer Verbundenheit“ entstehen. In diesem Rahmen gibt es kulturelle Gewohnheiten, die zum individuellen Wohlergehen beitragen. Zudem bringen sie die soziale Verbundenheit aktiv zur Geltung. Sozialkapital-Forscher unterscheiden drei Arten von sozialen Beziehungen: Bonding, Bridging und Linking. Danielle Allen erklärt: „Bindungen sind jene engen Beziehungen, die Verwandt, Freunde und sozial ähnliche Personen zusammenhalten.“ Brücken werden in jenen loseren Beziehungen gebaut, die Menschen über demografische Spaltungen hinweg miteinander verbinden. Und Verbindungen sind schließlich die vertikalen Beziehungen zwischen Menschen auf unterschiedlichen Stufen einer Statushierarchie. Danielle Allen ist James Bryant Conant University Professor an der Harvard University. Zudem ist sie Direktorin des Edmond J. Safra Center for Ethics in Harvard.

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Zahlen versprechen die totale Eindeutigkeit

Computer-Logik hält Zahlen für das Maß aller Dinge. Denn Zahlen versprechen die totale Eindeutigkeit – und die totale Kontrolle. Dagegen ist der Standpunkt „Ich denke, also bin ich“ keiner, mit dem sich rechnen lässt. Die glasklare Eindeutigkeit liegt jenseits von Freiheit und Würde. Rebekka Reinhard schreibt: „Wenn man darauf konditioniert ist, nicht mehr zu wollen und nur noch zu müssen, funktioniert man perfekt. Man diszipliniert und konditioniert sich selbst.“ Der außengeleitete Menschentypus, den er amerikanische Soziologe David Riesman (1909 – 2002) Anfang der 1950er Jahre beschrieb, dominiert auch heute. Der Unterschied ist nur: Die „Außengeleiteten“ sehen sich nicht mehr nur als aktive Subjekte, die auf Wünsche und Erwartungen anderer reagieren, wie David Riesman meinte. Die Philosophin Rebekka Reinhard war bis zur Einstellung der Zeitschrift stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.

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Die Reformation verursachte einen Flächenbrand

Was große Religionskriege der Moderne betrifft, hat Europa eine beachtliche Vorreiterrolle gespielt. Jürgen Wertheimer nennt ein Beispiel: „Mit seinen vermutlich über sechs Millionen Toten ist der sogenannte Dreißigjährige Krieg eine der blutigsten und verheerendsten Katastrophen.“ Was die Zahl der Opfer betrifft, liegt der damit auf Augenhöhe mit dem Zweiten Weltkrieg. Europa war in der beginnenden Neuzeit auf dem Sprung zu einer kultivierten Wissensgesellschaft. Wie konnte es zu diesem gedanklichen und emotionalen Rückschritt kommen? Dynastische Spannungen, Auseinandersetzungen zwischen den Kontinentalmächten Frankreich, Spanien und der Insel, England, gab es im gesamten Mittelalter bis zur Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert. Doch erst mit dem Ereignis der Reformation erhielten die Konflikte jene ideologische Schärfe, die aus ihnen einen verheerenden Flächenbrand machen sollte. Jürgen Wertheimer ist seit 1991 Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Komparatistik in Tübingen.

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Der Leib ist das Gefängnis der Seele

Platon hielt den Leib für ein Gefängnis beziehungsweise ein Grabmal der menschlichen Seele. Markus Gabriel fügt hinzu: „Insbesondere in seinem Dialog „Phaidon“ hat er für die Unsterblichkeit der Seele argumentiert.“ Das haben dann die Kirchenväter des Christentums später aufgegriffen, womit der Platonismus und das Christentum verschmolzen sind. Die Bibel lehrt im kanonischen Text, der heute vorliegt, übrigens nirgends eindeutig die Unsterblichkeit der Seele, sondern die Auferstehung der Leiber. Einen Himmel und eine Hölle, in der völlig leiblose Seelen aufbewahrt sind, wird man im Text der Bibel vergeblich suchen. So haben die Menschen der Bibel zufolge in der Hölle auch einen Leib. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Die Erfindung des Buchdrucks veränderte die Welt

Die Erfindung des Buchdrucks in den 1450er Jahren veränderte die Welt. Sie machte aus Büchern „fliegende Teppiche“ und verlieht Texten „buchstäblich Flügel“. Diese Revolution war weitreichend und unumkehrbar. Helmut Walser Smith erklärt: „Der Buchdruck verschaffte der Sprache eine neue Dauerhaftigkeit, weil er die Sprachdrift aufhielt und Zerfall sowie Zersplitterung neuer Erkenntnisse verlangsamte.“ Wörter wurden von ihrem Verfasser getrennt und gewannen ein Eigenleben. Auf einer Seite angeordnet, ließen sie sich leichter analysieren und sezieren, widerlegen und verbessern. Zudem verschaffte die Druckerpresse Ideen ein breiteres Publikum, nicht nur in den großen Städten, sondern auch in kleineren Orten und Dörfern. Dort trugen lesekundige Menschen die Bücher laut vor und ersetzten so den Geschichtenerzähler. Helmut Walser Smith lehrt Geschichte an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee.

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Spiel ist schöpferisches Tun und Zeit der Eroberung

„Denn … der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“ Friedrich Schiller weist dem Spiel mit diesen Worten eine herausragende Rolle in seinem idealen Programm zur ästhetischen Erziehung des Menschen zu. Dieses strebt eine schöpferische und glückliche Subjektivität an, wo Leidenschaft und Vernunft, das Schöne und das Gute endlich in erhoffter Harmonie zusammen existieren können. Isabella Guanzini weiß: „Wenn man spielt, vergessen die unterschiedlichen Seelenvermögen ihre Konflikte und Eifersüchteleien. Und alles nimmt einen leichteren Ton an, ohne an Intensität zu verlieren.“ Es ist als gewänne das Spiel jedes Mal diese ursprüngliche Dimension des Lebens zurück. Isabella Guanzini ist Professorin für Fundamentaltheologie an der Universität Graz.

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Ulrich Grober spricht die Sprache der Zuversicht

Ulrich Grober nimmt in seinem neuen Buch „Die Sprache der Zuversicht“ zwei Setzungen vor: „Die Erde ist der schönste Stern am Firmament. Und: Das Leben ist gut.“ Das ist der Rahmen, den dieses Buch vorschlägt. Es ist – unhintergehbar, nicht zu beweisen – der Nullpunkt, den es fruchtbar machen will. In diesen Grundannahmen und diesem Grundvertrauen, denkt Ulrich Grober, liegen die Quellen aller positiver Energien. Die anderen Fragen schließen sich an: Was macht das Leben nachhaltig, verleiht ihm Bedeutung? Was gibt Zuversicht? Die Überzeugung von der Wirksamkeit des eigenen Tuns ist für Ulrich Grober jedenfalls ein wichtiger Faktor. Eine alte Erfahrung lautet: „Erfolgreich kämpfst du nur für etwas, nicht bloß gegen etwas.“ Den Publizisten und Buchautor Ulrich Grober beschäftigt die Verknüpfung von kulturellem Erbe und Zukunftsvisionen.

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Neue Visionen braucht das Land

Das neue Philosophie Magazin 03/2023 stellt in seinem Titelthema die Frage: „Welche Vision kann uns retten?“ Die vier möglichen, teilweise utopischen Antworten lauten: Postwachstum, Longtermism, Freie Planwirtschaft und Metaverse. Chefredakteurin Svenja Flaßpöhler schreibt in ihrem Editorial: „Gewiss Visionen wohnen Gefahren inne; wenn sie zur Ideologie gerinnen, können sie tödlich sein. Doch wenn sie die Verbindung zum Leben nicht verraten, sondern aus ihr erwachsen, bergen sie größtes Potenzial.“ Um den Problemen, die nicht nur die Menschheit, sondern den Planeten Erde als solchen bedrohen, angemessen zu begegnen, ist ein einfaches „weiter so!“ keine Option. Umso dringender benötigen die Menschen positive Zukunftsentwürfe, die ihrem Handeln ein Ziel geben und sie motivieren, im Hier und Jetzt den richtigen Weg einzuschlagen. Kurz: Sie brauchen neue Visionen.

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Es entwickelt sich eine neue Form des Rechnens

Die Französische Revolution wollte eine aristokratische Gesellschaft vernichten, die ein glanzvolles Leben geführt und Millionen für üppige Festbanketts ausgegeben hatte. Die Aristokraten kümmerten sich nicht im Mindesten darum, wenn die Bauern unter der Last maßloser Steuern verhungerten. Gerd Gigerenzer ergänzt: „Ein Nebeneffekt der Revolution war der Versuch, die Messsysteme rationaler zu gestalten: ein Dezimalsystem zur Messung von Gewicht, Länge und fast allem anderen einzuführen.“ Das neue System verlangte die Berechnung von logarithmischen und trigonometrischen Tabellen. Das war eine schwierige Aufgabe, die man bisher mathematischen Ausnahmetalenten überlassen hatte. Doch die Französische Revolution entwickelte auch eine neue Version des Rechnens. Gerd Gigerenzer ist ein weltweit renommierter Psychologe. Das Gottlieb Duttweiler Institut hat Gigerenzer als einen der hundert einflussreichsten Denker der Welt bezeichnet.

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Das demokratische System gerät unter Druck

Weltweit ist man sich heute der Tatsache bewusst, dass der Kapitalismus amerikanischer Spielart hauptsächlich den Reichen nützt. Auf der anderen Seite haben viele Menschen in den USA keinen ausreichenden Zugang zur Gesundheitsversorgung. Für die Soft Power der USA sind diese beiden Missstände sehr abträglich. Joseph Stiglitz warnt: „Diejenigen, die an die Demokratie glauben, sollte dies zutiefst beunruhigen.“ Denn es findet ein Kampf der Ideen über alternative Gesellschafts-, Politik- und Wirtschaftssysteme statt. Und es sollte viele Menschen alarmieren, dass sich weite Teile der Welt von den Vorzügen des demokratischen Systems abwenden. Glücklicherweise ist der Kapitalismus amerikanischen Stils nur eine von vielen verschiedenen Arten demokratischer Marktwirtschaften. Joseph Stiglitz war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford. Er wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

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Die Neandertaler stammen vom Homo erectus ab

Als die Zeichnungen in der Pasiega-Höhle vor mehr als 64.000 Jahren entstanden, waren große Teile Europas vergletschert. Die Eiszeit steuerte auf neue Kälterekorde zu. Nordspanien war damals ein Land der Steppen und Wälder, wie man sie heute in Sibirien vorfindet. Ganz Nordeuropa und die Alpen waren unter Eisschilden verschwunden. Stefan Klein erzählt: „Wo die Gletscher nicht vorgedrungen waren, jagten Neandertaler Bisons und Mammuts. Sie hatten sich dem arktischen Klima angepasst, beherrschten die Kunst Feuer zu schlagen und nähten sich aus gegerbten Tierfellen Kleidung.“ Europa war schon seit unvorstellbaren Zeiten ihr Kontinent. Die Neandertaler stammten von Gruppen des Homo erectus ab, die vor mehr als einer halben Million Jahren aus Afrika ausgezogen waren. Stefan Klein zählt zu den erfolgreichsten Wissenschaftsautoren der deutschen Sprache. Er studierte Physik und analytische Philosophie in München, Grenoble und Freiburg.

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Die Nationalstaaten beuten die Natur aus

Die Werbung vieler Unternehmen feiert eine globalisierte Welt. Aber die Idee von der größeren Reichweite ihrer Geschäftsbeziehungen umfasst nur einen Aspekt der Globalisierung. Judith Butler weiß: „Nationalstaatliche Souveränität mag im Schwinden begriffen sein, aber neue Nationalismen halten an diesem Rahmen fest.“ Die Regierungen der Vereinigten Staaten sind nur schwer von der realen Bedrohung der lebensfähigen Welt durch den Klimawandel zu überzeugen. Das liegt daran, dass ihre Rechte zur Erweiterung von Produktion und Märkten weiterhin im Rahmen des Nationalstaates konzentriert bleiben. Dies trägt zur Ausbeutung der Natur und der Vormachtstellung des Profits bei. Sie rechnen vielleicht gar nicht mit der Möglichkeit, dass ihr Handeln Auswirkungen auf alle Regionen der Welt hat. Judith Butler ist Maxine Elliot Professor für Komparatistik und kritische Theorie an der University of California, Berkeley.

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Im Bereich der Werte gibt es moralische Tatsachen

Eine „Tatsache“ ist eine objektiv bestehende Wahrheit. Doch auch im Bereich der Werte gibt es Tatsachen – moralische Tatsachen. Viele Menschen glauben allerdings, dass es keine moralischen Tatsachen gibt. Dies wirft für Markus Gabriel eine grundlegende Frage auf, die in verschiedenen Varianten auftaucht: Gibt es überhaupt objektive Werte? Diese Frage hängt eng damit zusammen, was man tun soll. In den Tagen der Corona-Krise kommen verhaltensökonomische Modelle zum Einsatz. Markus Gabriel stellt fest: „Der Mensch wird in vielen Ländern – gerade jenen in denen eine Ausgangssperre verhängt wird – als Herdentier betrachtet, das nicht wirklich zu moralischen Entscheidungen fähig ist.“ Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Auch die Guten lügen

Zeitgenossenschaft bedeutet, sich tastend dem anzunähern, was die Zeit, in der man lebt, ausmachen könnte. Konrad Paul Liessmann unternimmt in seinem Buch „Lauter Lügen“ mit seinen Texten solche Annäherungsversuche. Bei dieser Aufgabe, von markanten Vorkommnissen auf den Geist der Zeit zu schließen oder in manchen Nachrichten die Signaturen der Epoche zu erkennen, bewegt man sich stets auf schwankendem Boden und dünnem Eis. Es gibt nicht wenige Menschen, die die Gegenwart als postfaktisches Zeitalter bezeichnen. Konrad Paul Liessmann stellt fest: „Ungeniert können Populisten Lügen verbreiten, ihre Anhänger wissen das und jubeln trotzdem oder vielleicht gerade deshalb.“ Das ist jedoch nicht verwunderlich, denn in der Politik geht es nicht um Wahrheit, sondern um Machtfragen. Konrad Paul Liessmann ist Professor emeritus für Philosophie an der Universität Wien, Essayist, Literaturkritiker und Kulturpublizist.

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Der Tod ist noch immer mit einem Tabu belegt

Die meisten Menschen verdrängen und tabuisieren den Tod. Sofern es um den eigenen Tod geht und nicht um den Tod an sich. Michael Wolffsohn weiß: „Zur Kulturgeschichte der Menschheit gehört die Angst vor dem eigenen Tod ebenso wie vor dem Tod des oder der geliebten Menschen. Im Banne dieser Ängste lebt der Mensch heute, lebte er immer.“ Die „Angst vor dem Partnerverlust“ ist eine menschliche Urangst. Die Menschen sind von Natur aus gesellig und vertragen Einsamkeit in der Regel nicht sehr lange. Auch der Tod zerschneidet Bindungen und bringt für die Überlebenden die Gefahr der Vereinsamung. Hiergegen steuert die Kultur des Totengedenkens, auch natürlich die Zeremonie der Bestattung, kurz Trauer und Trauerrituale an sich. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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Von Katzen kann man etwas lernen

Die Philosophie war über weite Strecken ihrer Geschichte die Suche nach Wahrheiten, die beweisen sollten, dass nicht alles endlich sei. John Gray nennt ein Beispiel: „Platons Lehre von den Formen – unveränderlichen Ideen, die in einem ewigen Reich existieren – war eine mystische Vision, in der die menschlichen Werte vor dem Tod sicher waren.“ Da Katzen zwar zu wissen scheinen, wann es an der Zeit ist, zu sterben, aber nie an den Tod denken, haben sie kein Bedürfnis nach diesen Hirngespinsten. Wenn sie sie verstehen könnten, hätte die Philosophie sie nichts zu lehren. Einige wenige Philosophen haben erkannt, dass man von Katzen etwas lernen kann. John Gray lehrte Philosophie unter anderem in Oxford und Yale. Zuletzt hatte er den Lehrstuhl für Europäische Ideengeschichte an der London School of Economics inne.

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Der Aralsee droht ganz zu verschwinden

Seit mehr als dreitausend Jahren zweigt man den Flüssen zur Bewässerung von Feldern Wasser ab. Man baute Kanäle, schuf Verbindungen und grub neue Flussmündungen. Josef H. Reichholf weiß: „Allein an Europas Flüssen gibt es über eine Million Querbauwerke, die stauen oder Wasser umleiten. Zweifellos sind dies gewaltige Eingriffe in das Regime der Fließgewässer.“ Am drastischsten zu sehen ist dies am Schrumpfen von Aralsee und Kaspischem Meer. Der Aralsee droht ganz zu verschwinden, große Teile des Kaspischen Meeres ebenso und damit die letzten Reste eines erdgeschichtlichen Nebenmeeres, der Para-Tethys. Änderungen des regionalen Klimas und des Wasserhaushaltes sin die Folgen. Umgekehrt wirken sich Änderungen des Klimas auch ganz ohne Zutun der Menschen auf Flüsse im Naturzustand aus. Josef H. Reichholf lehrte an der Technischen Universität München 30 Jahre lang Gewässerökologie und Naturschutz.

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In einer Hyperkultur kann alles Kultur sein

Der singularistische Lebensstil der neuen Mittelklasse hat die gesamte Weltkultur für die eigenen Wünsche der Selbstverwirklichung hinzugezogen. Kultur produziert man aus dieser Perspektive nicht innerhalb der eigenen sozialen Gruppe. Sondern sie hat sich in eine Ressource in Gestalt eines heterogenen Feldes von Möglichkeiten der Aneignung verwandelt. Andreas Reckwitz erläutert: „In dieser Hyperkultur kann potenziell alles zur Kultur werden. Das heißt zu einem Objekt oder einer Praxis, das oder die einer ästhetischen, ethischen narrativ-semiotischen, ludischen oder kreativ-gestaltenden Aneignung zugänglich ist.“ Die Elemente dieser Hyperkultur zirkulieren global und transhistorisch, daher kennt sie praktisch keine Grenzen. Die in ihr zirkulierenden Objekte und Praktiken sind einerseits unterschiedlich und singulär. Andererseits befinden sie sich gerade in ihrer anerkannten Differenz im Prinzip alle auf derselben Ebene. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Stephen Hawking forscht in der Kosmologie

Stephen Hawking war noch nie wie die meisten anderen Physiker. Von der riesigen Fülle an Ideen in der Physik begeisterte er sich von Anfang an für die Allgemeine Relativitätstheorie. Das galt vor allem für ein Untergebiet, die Kosmologie, in der man die Allgemeine Relativitätstheorie einsetzt, um den Ursprung und die Entwicklung des Universums zu verstehen. Leonard Mlodinow fügt hinzu: „Stephen Hawking fühlte sich zur Kosmologie hingezogen, weil nur dieses Gebiet das Versprechen barg, die existenziellen Fragen zu beantworten, die ihn inzwischen am meisten interessierten.“ Der britische Astronom und Mathematiker Fred Hoyle, Stephen Hawkings erste Wahl als Doktorvater, war ein großer Name in der Kosmologie. Er war Mitbegründer einer Theorie des Universums, die als Steady-State-Theorie (Gleichgewichtstheorie) bekannt wurde. Leonard Mlodinow, Physiker und Autor, lehrte am California Institut of Technology in Pasadena.

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Es gibt Vertrautheit angesichts des Unbekannten

Manchmal verstärkt ein seltsames Gefühl von Evidenz noch die Verwirrung. Charles Pépin schreibt: „Ich kenne diese Person nicht, ich habe sie gerade kennengelernt, und doch bin ich mir sicher: Sie ist es.“ Dieses Gefühl gibt einem Menschen Vertrauen angesichts des Unbekannten, das es schon nicht mehr wirklich ist. Man läuft jemandem zufällig über den Weg, doch es kommt einem vor, als hätte man dieser Person begegnen müssen. Als wäre man mit ihr verabredet. Dieser Eindruck der Vertrautheit, den man beim ersten Mal im Beisein eines Menschen hat, der einem lieb und teuer geworden ist, beruht auf Gegenseitigkeit. Man fühlt sich sofort wohl in der Gegenwart des anderen, das Verständnis ist beiderseitig. Charles Pépin ist Schriftsteller und unterrichtet Philosophie. Seine Bücher wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

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Das Böse liegt im Menschen selbst

Ohne Geld gibt es keine Kunst, denn Bauwerke, Statuen und Fresken sind teuer. Volker Reinhardt weiß: „Wer Geld hat, braucht Kunst, um seinen wirtschaftlichen Erfolg, seinen sozialen Rang oder seine Macht zu zeigen. Wenn das Geld auf anrüchige Art und Weise verdient wurde, fällt der Kunst sogar die Aufgabe zu, Geld zu waschen.“ Das für Christen schmutzigste aller Geschäfte hat Giotto um 1304 an der Ostwand der Cappella degli Scrovegni in Padua gemalt. Diese nennt man meist Arenakapelle, weil man sie 1300 auf dem Grundstück des verfallenen römischen Amphitheaters errichtete. Die jüdischen Hohepriester wollen den Heiland ins Verderben stürzen und haben zu diesem Zweck einen heimtückischen Plan ausgeheckt. Volker Reinhardt ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg. Er gehört international zu den führenden Italien-Historikern.

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Jonathan Rauch verteidigt das Gesetz der Erkenntnis

Jonathan Rauch erklärt und verteidigt in seinem Buch „Die Verteidigung der Wahrheit“ das Gesetz der Erkenntnis. Dabei handelt es sich um Regeln, welche die liberale Wissenschaft definieren und die Gemeinschaft organisieren. Der Autor zeigt, was zu tun ist, um die Wahrheit zu verteidigen, ganz besonders in Krisenzeiten wie diesen. Vielleicht ist Erkenntnis die richtige Wahrnehmung der Welt, allerdings unterscheidet sich die Wahrnehmung von Mensch zu Mensch und selbst im einzelnen Menschen ist sie nicht immer gleich. Auf Strenge und Demut beruht die Haltung desjenigen, der nach der Wahrheit sucht. Der Erwerb von Erkenntnis ist ein Gespräch und kein Zielpunkt. Es ist ein Prozess, eine Reise – und zwar eine, die Menschen gemeinsam unternehmen und nicht jeder für sich. Jonathan Rauch studierte an der Yale University. Als Journalist schrieb der Politologe unter anderem für das National Journal, für The Economist und für The Atlantic.

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