Deutschland braucht gut ausgebildete Wirtschaftsflüchtlinge

Zu den beeindruckenden Fortschritten der Bundesrepublik Deutschland gehört, dass die allermeisten Einheimischen die vielen Flüchtlinge trotz aller Krisengefühle willkommen heißen. Deutschland lernt sich in der Flüchtlingskrise gerade selber kennen. Dabei werden teils widersprüchliche, teils auch komplementäre Erfahrungen gemacht. Armin Nassehi erklärt: „Wir sehen brennende Flüchtlingsheime, und wir sehen ein charismatische Entgegenkommen, eine – wie man etwa am Münchner Bahnhof erleben konnte – wahrlich herzergreifende Willkommenskultur. Aber ohne die radikalen Proteste gäbe es diese besondere Freundlichkeit vermutlich nicht.“ Viellicht sind beide Formen der Reaktion allzu starke Vereinfachungen: Die rechten Asylkritiker tun so, als sei eine ethisch und kulturell homogene Gesellschaft leichter zu steuern. Die charismatische Hilfsbereitschaft entdeckt die konkrete Notsituation, hat dabei aber die Probleme der Integration noch gar nicht im Fokus. Armin Nassehi ist Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Herausgeber des Kursbuches.

Nur politische Flüchtlinge haben einen Bleibeanspruch

Rund um die Flüchtlingskrise zeichnen sich drei Haltungen ab: die humanitäre, die politisch-strategische und die ökonomische. Armin Nassehi stellt fest: „Ökonomisch gesehen, ist es natürlich rational, angesichts des künftigen Arbeitskräftemangels und der demografischen Schieflage des Sozialstaates in Flüchtlingen auch ein Potential zu sehen, zumal in den gut ausgebildeten.“ Ökonomisch betrachtet müsste man sagen: mehr Wirtschaftsflüchtlinge bitte! Zudem darf man nicht vergessen, dass eine ökonomische Integration von Migranten jeglicher Couleur kulturelle und religiöse Merkmale neutralisieren kann.

Armin Nassehi erläutert: „Wer Anerkennung durch Arbeit und biografische Perspektiven in Positionen erhält, wird sich auch kulturell weniger radikalisieren – das gilt übrigens nicht nur für Einwanderer, sondern auch für Autochthone, Einheimische.“ Heute ist auch die Frage nicht mehr eindeutig zu beantworten, was einen politischen Flüchtling definiert. Denn es geht in den Ländern, aus denen Menschen fliehen, um sehr komplexe Gemengelagen von Fluchtgründen. Dennoch halten das Grundgesetz und die Genfer Flüchtlingskonvention die Zweiteilung aufrecht, wonach nur politische Flüchtlinge einen Bleibeanspruch haben, alle anderen nicht.

Das Dublin-Abkommen ist außer Kraft gesetzt

Der gewaltige Flüchtlingsstrom reißt gerade diese Zweiteilung weg, an ihre Stelle tritt die Improvisation. Deutschland verzichtet also auf geltendes Recht. Armin Nassehi sagt: „Zurzeit haben wir es, um es drastisch auszudrücken, mit einer ungeheuren Masse von Körpern zu tun, die wir schlicht nicht aufhalten können. Das Dublin-Abkommen wird daher nicht durch einen Rechtsakt außer Kraft gesetzt, sondern durch die normative Kraft des Faktischen.“ Das heißt, die Verhältnisse ändern sich schneller als die Regeln, die sie steuern sollten.

Armin Nassehi weist darauf hin, dass im Jahr 2014 nur zwei Prozent der Flüchtlinge als asylberechtig galten, aber um die 50 Prozent geblieben sind und übt Kritik: „Solange man Menschen über Jahre einen prekären Rechtsstatus zumutet, solange werden Integrationsbemühungen geradezu korrumpiert.“ Die meisten von ihnen nur zu dulden, statt ihnen einen ordentlichen Rechtsstatus zu geben, kann seiner Meinung nach nicht die Lösung sein. Übrigens nicht nur aus humanitären, sondern auch aus ordnungspolitischen Gründen, weil ein prekärer Rechtsstatus eine echte Hürde für die Integration darstellt. Quelle: Süddeutsche Zeitung

Von Hans Klumbies