Kultur ist die Summe intellektueller Errungenschaften

Dass das Wort „Kultur“ auf das Universum der Ideen angewandt wird, hat die Menschheit Cicero und dem alten Rom zu verdanken. Cicero beschrieb mit dem Wort das Heranziehen der Seele – „cultura animi“; dabei dachte er offensichtlich an den Ackerbau und sein Ergebnis, die Vervollkommnung und Verbesserung des Pflanzenwachstums. Was für das Land gilt, kann demnach genauso auch für den Geist gelten. Antonio Damasio schreibt: „An der heutigen Hauptbedeutung des Wortes „Kultur“ gibt es kaum Zweifel. Aus Wörterbüchern erfahren wir, dass Kultur eine Sammelbezeichnung für Ausdrucksformen intellektueller Errungenschaften ist, und wenn nichts anderes gesagt wird, meinen wir damit die die Kultur der Menschen.“ Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

Der menschliche Intellekt treibt die Entwicklung der Kultur voran

Künste, philosophische Untersuchungen, religiösen Überzeugungen, moralische Fähigkeiten, Justiz, Regierungsführung und wirtschaftliche Institutionen – Märkte, Banken –, Technologie und Wissenschaft sind die wichtigsten Kategorien und Errungenschaften, die das Wort „Kultur“ vermittelt. Die Ideen, Einstellungen, Sitten, Verhaltensweisen, Praktiken und Institutionen, durch die sich verschiedene soziale Gruppen unterscheiden, gehören ebenso zum breiten Spektrum der Kultur wie der Gedanke, dass Kulturen durch Sprache sowie durch ebenjene Objekte und Rituale, die durch Kultur geschaffen wurden, von Mensch zu Mensch und von Generation zu Generation weitergegeben werden.

Wenn Antonio Damasio von Kulturen oder dem kulturellen Geist spricht, meint er damit dieses breite Spektrum verschiedener Phänomene. Herkömmlicherweise erklärt man die kulturellen Bestrebungen der Menschen unter dem Gesichtspunkt des außergewöhnlichen menschlichen Intellekts. Dabei hält man die Erwähnung der Gefühle kaum einer Erwähnung für wert. Antonio Damasio erläutert: „Die Stars der kulturellen Entwicklung sind vielmehr die Expansion von menschlicher Intelligenz und Sprache sowie das ungewöhnliche Ausmaß an Geselligkeit.“

Aus Leiden und Gedeihen erwuchs die Kultur

Antonio Damasio vertritt die These, dass in der Beschreibung, in der nur der Intellekt des Menschen vorkommt, etwas fehlt. Man könnte meinen, die kreative Intelligenz habe sich ohne einen effektiven Antrieb verwirklicht und sei vorangeschritten, ohne dass im Hintergrund ein anderes Motiv als die reine Vernunft gestanden hätte. Das Überleben als Motiv zu nennen reicht nicht, denn damit sagt man nichts darüber aus, warum das Überleben überhaupt ein Anliegen sein sollte. Es scheint dann so, als wäre die Kreativität nicht in das komplexe Gebäude der Affekte eingebettet.

Antonio Damasio bezweifelt, dass die Fortentwicklung und Betrachtung der Prozesse kultureller Erfindungen allein mit kognitiven Mitteln möglich gewesen ist, ohne dass dabei der tatsächliche, gefühlte Wert guter oder schlechter Folgen im Leben eine Rolle gespielt hätte. Leiden oder Gedeihen, die beiden äußersten Ende des Spektrums der Gefühle, waren die wichtigste Motivation für die kreative Intelligenz, aus der die Kultur erwuchs. Die gleiche Wirkung hat aber auch das Erleben von Affekten, die mit grundlegenden Wünsche – Hunger, Lust, soziale Gemeinschaft – zu tun haben. Quelle: „Im Anfang war das Gefühl“ von Antonio Damasio

Von Hans Klumbies