Alle Lebewesen verfügen über das Spüren

Das Ziel des Überlebens und die Erfordernisse der Homöostase gelten auch heute noch. Und zwar in einzelligen Lebewesen wie den Bakterien als auch bei den Menschen. Antonio Damasio fügt hinzu: „Aber der Prozess wird bei Einzellern und Menschen durch unterschiedliche Arten von Intelligenz unterstützt. Den einfacheren, geistlosen Lebewesen steht ausschließlich nichtexplizite, nichtbewusste Intelligenz zur Verfügung.“ Ihren Kenntnissen und ihrer Kognition fehlt die Kraft offenkundiger Repräsentationen. Menschen besitzen beide Formen. Zu den charakteristischen Strategien, die Lebewesen zur Verfügung stehen, ist am grundlegendsten das Spüren, dass nach der Überzeugung von Antonio Damasio in alle Lebensformen vorhanden ist. Als nächstes folgt das Beachten. Antonio Damasio ist Dornsife Professor für Neurologie, Psychologie und Philosophie und Direktor des Brain and Creativity Institute an der University of Southern California.

Viren sind keine Lebewesen

Das Beachten setzt ein Nervensystem sowie die Schaffung von Repräsentationen und Bildern voraus, den entscheidenden Bestandteil des Geistes. Geistig Bilder fließen unaufhaltsam und sind unbegrenzt offen für die Manipulationen, durch die sie neue Bilder liefern. Das Beachten öffnet den Weg zu Fühlen und Bewusstsein. Viren dagegen sind bis heute ein wichtiger Quell der wissenschaftlichen und medizinischen Demütigung. Die Menschheit ist nachlässig in ihrer Vorbereitung auf Virenepidemien.

Mit dem Wissen über die Bedeutung der Bakterien hat die Forschung jedoch große Fortschritte gemacht. Antonio Damasio erklärt: „Das Mikrobiom ist heute ein Aspekt unserer Kenntnisse über uns selbst. Für Viren gilt nichts Vergleichbares.“ Die Schwierigkeiten beginnen schon mit der Frage, wie man Viren einteilt und was man über ihre Rolle im allgemeinen Haushalt des Lebendigen weiß. Sind Viren lebendig? Nein, das sind sie nicht. Viren sind keine Lebewesen.

Viren sind ein Gebräu aus Nucleinsäuren

Am aufschlussreichsten ist der Vergleich zwischen Viren und Bakterien. Antonio Damasio erläutert: „Viren haben keinen Stoffwechsel, Bakterien schon; Viren produzieren weder Energie noch Abfälle, Bakterien schon. Viren können keine eigenen Bewegungen in Gang setzen. Sie sind ein Gebräu aus Nucleinsäuren – DNA oder RNA – und einem Sortiment einiger Proteine. Viren können sich allein nicht fortpflanzen, aber sie dringen in echte Lebewesen ein. Sie bringen deren Lebenssysteme unter Kontrolle und vermehren sich.

Kurz gesagt sind sie nicht lebendig, können aber zu Parasiten des Lebendigen werden und ein „Pseudoleben“ führen. Dabei zerstören sie in den meisten Fällen das Leben, das ihnen die Fortführung ihrer zweideutigen Existenz ermöglicht und die Herstellung wie auch Verbreitung „ihrer“ Nucleinsäuren unterstützt. Antonio Damasio stellt fest: „Deshalb können wir den Viren trotz ihres nichtlebendigen Zustandes nicht einen gewissen Anteil an der nichtexpliziten Form von Intelligenz absprechen, die alle Lebewesen, angefangen bei den Bakterien, beseelt.“ Quelle: „Wie wir denken, wie wir fühlen“ von Antonio Damasio

Von Hans Klumbies

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