Annette Kehnel entdeckt zeitlos gültiges Menschheitswissen

Was ist die Todsünde des 21. Jahrhunderts? fragt Annette Kehnel in ihrem Buch „Die sieben Todsünden“. Sie folgt dabei der Spur einer alten Lehre und fragt, wie man in vergangenen Jahrhunderten mit der dunklen Seite der menschlichen Natur umging. Dabei entdeckt sie zeitlos gültiges Menschheitswissen, das den heute lebenden Menschen, im Zeitalter der Polykrise, neue Orientierung geben kann. Erfahrungswissen kann Leben retten. Diese Einsicht sorgt gegenwärtig dafür, dass sich die Arbeitsweisen der Wissenschaften verändern. Das betrifft beispielsweise die Erdbebenforschung, die Klimaforschung, die Resilienzforschung sowie sämtliche Zweige der Zukunftsforschung. Die Zeiten, in denen traditionelles Wissen belächelt wurde, sind vorbei. Annette Kehnel betont allerdings auch: „Zugleich ist Vorsicht geboten von einem blinden „run“ auf verschollene Weisheiten und Wissenstraditionen sogenannter Naturvölker, vor falschen Hoffnungen, romantischer Verklärung und gefährlichen Heilsversprechen.“ Annette Kehnel ist Inhaberin des Lehrstuhls für Mittelterliche Geschichte an der Universität Mannheim.

Jede Todsünde deckt eine Grundbedingung menschlicher Existenz ab

Auf der Suche nach Weisheiten des Westens wagt Annette Kehnel in ihrem Buch „Die sieben Todsünden“ ein Experiment, indem sie das Konzept der Todsünden gleichsam unter das Mikroskop legt. Dabei analysiert sie die einzelnen Bestandteile, um das darin tradierte Erfahrungswissen des Westens, Weisheiten, Maßnahmen, Regeln für den Erhalt des sozialen und natürlichen Gleichgewichts herauszuarbeiten. Denn jede der sieben Todsünden deckt eine Grundbedingung menschlicher Existenz ab.

Zu den sieben Todsünden zählen Völlerei, Habgier, Ausschweifung, Trägheit, Neid, Zorn und Hochmut. Annette Kehnel schreibt: „Das in der Todsündenlehre gespeicherte kollektive Erfahrungswissen zeigt uns, wie wir unseren destruktiven Kräften entgegenwirken und unser positives, weltveränderndes Potenzial entfalten können. Es liefert uns einen neuen Deutungshorizont und, so hoffe ich, eine neue Denkweise für den Umgang mit den großen Herausforderungen unserer Zeit.“

Geschichte kann Orientierung in Gegenwart und Zukunft bieten

Wer Menschheitswissen für das Zeitalter der Krisen in Aussicht stellt, muss mit der Erwartung rechnen, dass es klare Lektionen aus der Vergangenheit gibt, dass Wege gewiesen werden, zurück in eine Zeit, in der die Welt vermeintlich noch in Ordnung war. Diese Erwartung muss Annette Kehnel enttäuschen. Denn dass früher alles besser war, denkt man erst, wenn es vorbei ist. Der Traum von der Wiederkehr der Vergangenheit wird bei Lichte besehen immer zum Albtraum, und die Suche nach dem verlorenen Paradies endet in der Regel tragisch.

Es gibt kein Zurück. Das Rad der Geschichte lässt sich nicht anhalten. Und so war auch die Frage nach den Wissenstraditionen des Westens – die Anfangsfrage dieses Buches – nicht inspiriert von der Hoffnung auf Rückkehr. Trau keinem, der vergangene Größe predigt! Vielmehr dient der Blick in die Geschichte dazu, die Gegenwart besser einordnen zu können. Geschichte macht demütig angesichts der Herausforderungen, die Menschen vergangener Generationen bewältigt haben. Und sie kann Orientierung in Gegenwart und Zukunft bieten – all denen, die sich ehrlich der Vergangenheit stellen.

Die sieben Todsünden
Menschheitswissen für das Zeitalter der Krise
Annette Kehnel
Verlag: Rowohlt
Gebundene Ausgabe: 400 Seiten, Auflage: 2024
ISBN: 978-3-498-00696-9, 26,00 Euro

Von Hans Klumbies