Nicht jedes Kind ist hochbegabt

Wenn sich Andreas Salcher durch die Flut an Büchern zum Thema Talent durcharbeitet, stößt er immer auf eine Kernthese: „Angeborenes Talent ist nicht entscheidend. Ja dieses wird sogar maßlos überschätzt.“ Es geht vor allem um andere Faktoren, wie Selbstvertrauen, Hartnäckigkeit, Leidenschaft, intensives Training, Teamwork, Charakter. Wer sich darauf konzentriert und die richtigen Entscheidungen trifft, kann fast alles erreichen. Versucht man ohne ideologische Brille, wissenschaftliche Fakten über die menschliche Fähigkeit der persönlichen Entwicklung zu analysieren, kann man zu folgenden Ergebnissen kommen: Nicht jedes Kind ist hochbegabt, auch wenn die gegenteilige Behauptung des Neurobiologen Harald Hüther noch so wünschenswert wäre. Jeder Mensch kann nicht alles erreichen, selbst wenn er sich selbst noch so anstrengt. Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Bestseller-Autor und kritischer Vordenker in Bildungsthemen.

Der Intelligenzquotient lässt sich nur wenig verändern

Eltern tun ihren Kindern daher nichts Gutes, indem sie ihnen das gut gemeinte Märchen erzählen. Dass es für sie keine Grenzen gebe, wenn sie sich nur besonders anstrengen. Andreas Salcher weiß: „Spitzenleistung basiert auf großem angeborenem Leistungspotenzial und auf Übung.“ Der Intelligenzquotient (IQ) ist angeboren und lässt sich im Laufe des Lebens nur wenig verändern. Und der IQ ist zumindest für Spitzenpositionen in einer Leistungsgesellschaft eine Grundvoraussetzung. Dies allerdings mit abnehmenden Grenznutzen.

Eine weitere sozial unerwünschte Wahrheit lautet: Je gezielter die individuellen Talente von Menschen gefördert werden, desto stärker treten deren Unterschiede hervor. Wer gleiche Ergebnisse bei unterschiedlichen genetischen und sozialen Startvoraussetzungen erzielen will, müsste zwangsläufig die Anforderungen senken und objektive Leistungsvergleiche verhindern. Andreas Salcher bevorzugt persönlich Systeme, die sich das erreichbare Ziel der Chancengleichheit setzen: „Jeder hat das Recht darauf, dass seine Talente im Bildungssystem maximal gefördert werden, dass dadurch Unterschiede stärker hervortreten.“

Tragische Verlierer fühlen sich oft umfangen von Dunkelheit

Der getäuschte Mensch ist fast immer ein unglücklicher Mensch. Viele Eltern jagen sich selbst und ihre Kinder mit viel Aufwand auf den Weg der Überforderung. Für sie endet das meist mit Enttäuschung oder Schuldzuweisungen an andere. Jedes Jahr verschwenden beispielsweise Unternehmen Milliarden für Schulungsmaßnahmen. Sie bilden Mitarbeiter für Positionen aus, für die ihnen die Voraussetzungen fehlen, statt die dafür geeigneten zu rekrutieren.

Zwischen dem 20. und dem 25. Lebensjahr werden einige Menschen von einer Ahnung geplagt. Das Leben könnte es nicht gut mit ihnen meinen. Sie haben das Gefühl, dass Gleichaltrige schon viel mehr erreicht haben. In der Schule kamen sie irgendwie durch. In keinem Fach konnten sie glänzen, in den meisten mussten sie kämpfen. Irgendwie landeten sie in einem Job, der sie nicht ausfüllt. Manchmal mündet dies in unterdrückter Wut, in virtuellen Computerwelten und irgendwann in Apathie. Was die meisten Menschen oft vergessen: Jeder, der als Erster durchs Ziel läuft, lässt viele Verlierer hinter sich. Die tragischen Verlierer fühlen sich oft eingesperrt in einem Raum ohne Fenster und Türen. Sie können eine andere, schönere Welt als die ihre gar nicht sehen. Quelle: „Das ganze Leben in einem Tag“ von Andreas Salcher

Von Hans Klumbies