Konrad Adenauer revolutionierte die deutsche Außenpolitik

Schon ein halbes Jahr nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und vier Jahre vor seiner Spätkarriere als Gründungskanzler der Bundesrepublik, hatte Konrad Adenauer die neue Konstellation in Europa realisiert: „Russland hat in Händen die östliche Hälfte Deutschlands, Polen, den Balkan, anscheinend Ungarn, einen Teil Österreichs. Russland entzieht sich immer mehr der Zusammenarbeit mit den anderen Großmächten und schaltet in den von ihm beherrschten Gebieten völlig nach eigenem Gutdünken.“ Für ihn war somit die Trennung in Osteuropa, das russische Gebiet, und Westeuropa eine Tatsache. Andreas Rödder stellt fest: „Konrad Adenauer erkannte die Chancen für Westdeutschland, das er im Oktober 1945 etwas umständlich als „nicht von Russland besetzten Teil Deutschlands“ bezeichnete.“ Seit 2005 ist Andreas Rödder Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.

Konrad Adenauer will die Bundesrepublik fest an den Westen binden

Konrad Adenauer – und nicht nur er – war getrieben von einer geradezu pathologischen Angst vor der Sowjetunion. Dieses Bedrohungsszenario durch „die Russen“ ging mit dem zeitgenössischen Antikommunismus zusammen – und entlastete die Westdeutschen zugleich vom Blick zurück. Konrad Adenauers oberstes Ziel war die äußere Sicherheit der Bundesrepublik und ihre Eingliederung in das westliche Staatensystem, und zwar auf Augenhöhe. Dieses Ziel verfolgte er mit Hilfe einer revolutionären Neuerung der deutschen Außenpolitik. Durch die feste Bindung an den Westen im transatlantischen Bündnis mit den USA und durch die europäische Integration.

Mit der Methode der „Selbstbehauptung durch Selbstbeschränkung“ wandte sich die Bundesrepublik einerseits von den Methoden der klassischen Mächtediplomatie ab. Andererseits folgte sie dem revisionistischen Programm, Deutschland müsse „wieder eine Großmacht werden. Ähnlich doppelgesichtig war Konrad Adenauers Europapolitik. Sie bewegte sich flexibel und je nach politischen Umständen zwischen zwei Zielen. Zwischen den Vereinigten Staaten von Europa und einem Europa der Vaterländer, jedenfalls der Einzelstaaten.

Die Bundesrepublik wurde Mitglied der NATO

Selbsteinbindung und eine Kultur der Zurückhaltung prägten damals die Politik der Bundesrepublik. Dadurch wurde die junge Nation binnen weniger Jahre zu einem fast souveränen und innerhalb der westlichen Staatenwelt zunehmend gleichberechtigten Staat. Im Jahr 1955 hoben die Siegermächte das Besatzungsstatut auf. Die Bundesrepublik wurde Mitglied der NATO und baute eigene Streitkräfte auf. Die beginnende europäische Integration öffnete der Bundesrepublik die westeuropäischen Märkte, und die Wirtschaftskontrollen verschwanden.

Der Preis für die Erfolge der Revisionspolitik nach Westen bestand im einstweiligen Scheitern der Revisionspolitik nach Osten. Andreas Rödder formuliert dies wie folgt: „Sicherheit durch Westbindung hatte für Konrad Adenauer Vorrang vor einer deutschen Wiedervereinigung.“ Dieses Ziel besaß freilich Verfassungsrang. Hieß es doch in der Präambel des Grundgesetzes, das „gesamte deutsche Volk“ bleibe „aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden“. Quelle: „Wer hat Angst vor Deutschland?“ von Andreas Rödder

Von Hans Klumbies