Das Internet ist auf den Moment orientiert

Internet-Profile sind nicht statisch, sondern durch eine Permanenz der Performanz des Neuen gekennzeichnet. Andreas Reckwitz weiß: „In der Logik der Weblogs und des Bloggens war von Anfang eine Aktualisierungsanforderung eingebaut. Facebook hat dieser Dynamisierung der Profile durch die Einführung der „Chronik“ einen zusätzlichen Schub gegeben.“ Das Profil-Subjekt muss seine Originalität und Vielseitigkeit so immer wieder unter Beweis stellen, durch beständige, immer neue Performanz. Es reicht nicht, einmal zu bekunden, dass man Australien, Rock-Musik und seine Kinder liebt. Man muss diese Leidenschaften und Interessen durch zeitnahe Aktivitäten sozusagen ständig aufs Neue öffentlich realisieren. Die Permanenz der Performanz des Neuen überträgt die generelle Momentorientierung des Internets auf die Ebene der Fabrikation des Subjekts. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

Das Selbst ist via Selfie immer live dabei

Singularisierung bedeutet hier, dass in den vielseitigen Aktivitäten immer etwas Neues passiert. Die Profileigenschaften werden im Hier und Jetzt lebendig gehalten. Die bevorzugte Form, in der sich das Profil-Subjekt permanent als einzigartiges fabriziert, kristallisiert sich das visuell dargestellte Erleben heraus. In der Chronik des Selbst schieben sich die Fotos und die Filme in den Vordergrund, deren visueller Realismus eine Unmittelbarkeit des Geschehens suggeriert.

Gut geeignet für die fotografische beziehungsweise filmische Dauerdokumentation der Aktivitäten des Selbst sind Events und Reisen. Passend sind aber auch kleine Alltagsepisoden, in denen etwas Neues oder Ungewöhnliches passiert. Immer ist das Selbst „live“ dabei, nachgewiesen unter anderem via „Selfie“. Aber nicht nur die externen Aktivitäten werden bildlich dokumentiert. Es geht dem Profil-Subjekt auch darum, sein subjektives Erleben für das Publikum anschaulich zu machen.

Links und Likes fördern die Singularisierung des Selbst

Entscheidend ist für Andreas Reckwitz: „Das spätmoderne Subjekt inszeniert sich nicht nur als eines, das interessante Dinge tut, sondern das auch interessante Erfahrungen macht. Unverwechselbar wird es auch und gerade durch sein besonderes Wahrnehmen und Empfinden des Besonderen.“ Hier kommt erneut das Moment der Authentizität ins Spiel. Authentisch scheint das Subjekt, wenn es nicht nur inszeniert, sondern sich auch als Selbst in einer Situation als „erfüllt“ empfindet. Die digitalen Fotos suggerieren, ersatzweise dieses Erleben des Selbst nachvollziehbar zu machen.

Auch Links und Likes tragen zur Selbstsingularisierung bei. Im Vergleich zu den Aktivitäten und Erlebensakten handelt es sich bei ihnen um eine weniger aufwändige Form, sich als unverwechselbar darzustellen. Links setzen heißt bekanntlich: das Subjekt greift aus der Unzahl insbesondere aktueller Texte und Bilder der Kulturmaschine einige heraus. Dadurch rahmt es sie als beachtenswert. In Anlehnung an Georg Simmel, demzufolge sich Individualität in der Kreuzung sozialer Kreise bildet, formuliert Andreas Reckwitz folgendes: „Die Singularität des digitalen Subjekts ergibt sich in beträchtlichem Maße daraus, dass es ein Knotenpunkt seiner Links ist.“ Quelle: „Die Gesellschaft der Singularitäten“ von Andreas Reckwitz

Von Hans Klumbies