Das Smartphone ändert den Bezug zur Welt

Das Smartphone ist permanent zur Hand und ändert dadurch den Bezug der Menschen zur Welt. Andreas Barthelmess erklärt: „Was fern war, ist plötzlich nah, und das heißt: Von nun an ist alles nah.“ Über Facetime oder WhatsApp telefonieren die Menschen aus dem WLAN heraus eben mal kostenlos mit einem Freund in New York oder Paris. Doch wie das Smartphone den Menschen die Ferne nahe bringt, so entfernt es ihnen umgekehrt die Nähe. In der U-Bahn schauen viele Menschen auf das Display ihres Smartphones, aber nicht in die Gesichter der Mitfahrenden. Wenn man eine Adresse sucht, fragen wir Google Maps, aber nicht einen Anwohner hinter dem nächsten Gartenzaun. Das Restaurant in Venedig empfiehlt tripadvisor, und schon wieder entgeht dem Reisenden ein Gespräch mit einem Einheimischen. Andreas Barthelmess ist Ökonom, Start-up-Unternehmer und Publizist.

Früher traf man sich mit jemanden

Ist das Smartphone in der Hand nicht das Brett vor dem Kopf, das sich zwischen die eigene Person und die nächste Umwelt schiebt? Unmittelbarkeit kann man sich von einem Smartphone nicht versprechen. Im Gegenteil. Es übersetzt Wirklichkeit in Möglichkeit, Körperlichkeit in Virtualität. Der Europa-Chef von Tinder, Lennart Schirmer, hat in einem Interview mit der Zeitschrift „Der Spiegel“ im Jahr 2019 folgendes gesagt: „Die Generation Z findet die Vorstellung, jemanden anzusprechen, den sie nicht kennt, offenbar komisch.“

Das ist die Wirklichkeit der Dating-App Tinder im Jahr 2020. Mit Millennial-optimierten rhetorischen Anstrengungen bringt man den anderen nicht zum Schmelzen, sondern allenfalls zum Vorstellungsgespräch ins Café. Achtung, Realitäts-Check: Wie sieht das Gegenüber aus, wenn man Profipose und Bildbearbeitung subtrahiert? Passt es zum Versprechen seiner virtuellen Inszenierung? Früher traf man sich mit jemanden, redete und machte sich ein Bild von der Person.

Das Digitale ermöglicht Kontakte ohne Körper

Andreas Barthelmess stellt fest: „Heute haben wir das Tinder-Bild, bevor wir uns treffen und reden, und genau genommen ist es nicht ein Bild, sondern bloß eines von Tausenden, jedes nur einen Wish entfernt.“ Das Smartphone mit seinem App-Universum ist die technologische Grundvoraussetzung für die soziale, ökonomische und kulturelle Gegenwart. Es ist Filter, Sprachrohr, Organizer, Übersetzer und Reiseführer zugleich. Das Smartphone ist der persönliche Konsumkanal für Videos, Musik und Sprache.

Es ist Job- und Partnerbörse, Organisator von Übernachteinkäufen und an die Wohnungstür gelieferten Abendessen. Dabei sind die meisten Menschen schon täglich mehrfach in Kontakt mit künstlicher Intelligenz. Sie steckt hinter Amazons Alexa, Googles Translate oder Facebooks Empfehlungen von Freuden. Wie Andreas Barthelmess sagt, ermöglicht das Digitale verschiedenste Kontakte ohne Körper. Das alles erscheint bequem und von Vorteil. Aber die Möglichkeiten, die das digitale Leben eröffnet, erzeugen auch ihren eigenen Stress. Quelle: „Die große Zerstörung“ von Andreas Barthelmess

Von Hans Klumbies