Katholische Sexualmoral gilt weltweit als verklemmt. Doch das war nicht immer so. Papst Alexander VI. (1492 – 1503) hatte mehr als ein Dutzend leibliche Nachkommen; den letzten zeugte er siebzigjährig während seines Pontifikats. Volker Reinhard erklärt: „Zu dieses Zeit lebten viele Kardinäle mit ihren Mätressen in eheähnlichen Gemeinschaften zusammen. Für diejenigen, die mehr Abwechslung liebten, standen in den größeren Städten Kurtisanen mit einem breiten Spektrum an Dienstleistungen bereit.“ In diesem Klima konnte sich an den Fürstenhöfen Italiens eine erotische Kultur entfalten, die mit der Katholischen Reform ab etwa 1550 zurückgedrängt und überdeckt wurde. Ihre eindrucksvollsten Zeugnisse haben sich im Palazzo del Tè erhalten, den der große Allroundkünstler Giulio Romano ab 1525 für den Marktgrafen von Mantua errichtete und mit Fresken verzierte. Volker Reinhardt ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg. Er gehört international zu den führenden Italien-Historikern.
Menschliche Schönheit erregt das Missfallen der Götter
Das Kernstück dieses einzigartigen Kabinetts ist die Bildererzählung von Amor und Psyche nach der Textvorlage des antiken Dichters Apuleius von Madaura. Volker Reinhardt weiß: „Wer zu schön ist, der erregt das Missfallen der ewig neidischen Götter und speziell der Göttinnen. Wer aufgrund dieser Schönheit dann auch noch die Verehrung einheimst, die eigentlich der schönsten dieser Göttinnen zusteht, lebt gefährlich. Diese Erfahrung macht die liebreizende Königstochter Psyche, die von allen für Venus gehalten und mit Gaben überhäuft wird, die eigentlich ihrer olympischen Doppelgängerin gebühren.“
Psyches einzigartige Schönheit hat einen weiteren Nachteil: Die Männer trauen sich nicht, um ihre Hand anzuhalten, denn wer freit schon eine Göttin? Volker Reinhardt fügt hinzu: „In seiner Verzweiflung wendet sich ihr Vater an das Orakel von Milet, das ihm eine niederschmetternde Auskunft gibt: Psyche soll in Hochzeitsgewandung auf einem einsamen Berggipfel ausgesetzt werden, wo sie ein schreckliches Monster abholen wird.“ Diesen Plan hat natürlich niemand anders als die rachsüchtige Göttin Venus ersonnen.
Psyche verliebt sich in Amor
Ihr Sohn Amor, der mit seinen Pfeilen die Menschen in Liebestaumel versetzt, soll Psyche mit seinen bewährten Künsten den abscheulichsten aller Ehemänner beschaffen. Volker Reinhardt stellt fest: „Doch die Göttin hat die Rechnung ohne ihren feurigen Filius gemacht. Amor sieht Psyche, und schon ist es um ihn geschehen. So wird die zitternde und zagende Psyche beim nächtlichen Stelldichein nicht von dem angedrohten Ungeheuer, sondern vom Wind Zephyr davongetragen und in ein dunkles Tal verbracht, wo sie erschöpft einschläft.“
Nach dem Erwachen sieht sie einen Wald, eine Quelle und einen Palast. Dort residiert Amor, der sich in der darauffolgenden Nacht mit ihr vereint, ohne dabei sein Gesicht zu enthüllen, so dass Psyche glaubt, Gattin des Monstrums geworden zu sein. Volker Reinhardt ergänzt: „Wenig später deckt sie Amors Gesicht auf, dessen Schönheit sie entzückt, und ritzt sich mit einem seiner Pfeile, so dass sie in Liebe zu ihm entbrennt.“ Daraufhin ersinnt die zürnende Venus vier Proben, welche die von Amor schwangere Psyche nach menschlichem und göttlichem Ermessen nicht bestehen kann.“ Quelle: „Die Macht der Schönheit“ von Volker Reinhardt
Von Hans Klumbies