Laut einem Bericht der Welthungerhilfe haben 842 Millionen Menschen nicht genug zu essen. Den Hunger nachhaltig zu bekämpfen bleibt für Michael Krawinkel eine der größten Herausforderungen der Menschheit. Seiner Meinung nach kann das nur mit einer global angelegten Ernährungspolitik funktionieren. Denn der größte Teil der weltweiten Ernten steht den Bedürftigen nicht zur Verfügung. Michael Krawinkel erläutert: „Wirkliche Hungerbekämpfung hieße also, die Erträge der Kleinbauern steigern zu helfen, ohne sie in Schulden und Ausbeutung zu zwingen.“ Doch die gerade wieder verlängerte Subventionierung der europäischen Landwirtschaft hat zur Folge, dass die Bauern in den Entwicklungsländern nicht mit den Produkten aus Europa konkurrieren können. Michael Krawinkel ist seit 1999 Professor für Ernährung des Menschen an der Universität Gießen. Zuvor arbeitete er fast 20 Jahre lang als Kinderarzt. Von 1981 bis 1983 arbeitete Michael Krawinkel für den Deutschen Entwicklungsdienst im Sudan.
Eine globale Ernährungspolitik muss sich für überwiegend pflanzliche Ernährung einsetzen
Michael Krawinkel fordert, dass für jeden Euro Subvention der europäischen Landwirtschaft ein Euro für nachhaltige selbstständige Nahrungssicherung in den Ländern des Südens investiert wird. Zahlen der Welternährungsorganisation (FAO) belegen, dass weniger als 50 Prozent der weltweiten Getreideernten für die Humanernährung zur Verfügung gestellt wird. Michael Krawinkel erklärt: „Ein großer Anteil wird für die Tierfütterung verwendet, da die Nachfrage nach Fleisch und Fleischprodukten weltweit ansteigt.“
Diese Nachfrage wird durch die niedrigen Preise noch zusätzlich gefördert, auch sie ist also gemacht und gewollt und kein abstraktes Phänomen. Eine globale Ernährungspolitik müsste sich laut Michael Krawinkel dagegen für eine überwiegend pflanzliche Ernährung einsetzen, statt sich am kurzfristigen Nutzen der Fleischproduzenten und ihrer Futterzulieferer zu orientieren. Um den Hunger in den armen Ländern zu bekämpfen, müssen zudem die Verluste nach der Ernte verringert werden. So gehen zum Beispiel beim Reis 30 bis 40 Prozent der Ernte je nach Lagerdauer, Klima und Region verloren.
In Nahrungskrisen darf sich die Hilfe nicht nur auf die Kinder konzentrieren
Zulange stand auch die Energie der Nahrung im Mittelpunkt der Bekämpfung des Hungers auf der Welt. Dass die Menschen auch Spurenelemente und Vitamine brauchen, wurde dabei vernachlässigt. Michael Krawinkel fügt hinzu: „Die Grüne Revolution in Asien zielte auf höhere Erntemengen und brachte Reissorten hervor, die reich an Stärke waren, aber kaum noch Eisen und Zink als Spurenelemente enthielten. Heute entwickelt die Saatgutforschung auch Sorten mit höherem Nährstoffgehalt.“
Kinder sind laut Michael Krawinkel als Erste durch Mangelerscheinungen betroffen, weil ihr Nährstoff- und Energiebedarf, bezogen auf das Körpergewicht am höchsten ist. Hilfsmaßnahmen werden in der Regel auf dem Anteil unterernährter Kinder aufgebaut. Doch Wissenschaftler, die erforschen, wie Bevölkerungen mit Nahrungskrisen umgehen, haben festgestellt, dass die Eltern überall versuchen, ihren Kindern so lange wie möglich das bestmögliche Essen zu geben. Dadurch verschlechtert sich der Ernährungszustand der Mütter wie Väter in der Krise stärker als jener der Kinder. Hilfe, die sich nur an den Kindern orientiert, kommt für Michael Krawinkel grundsätzlich zu spät.
Von Hans Klumbies