Wissen war mit einem Erlebnis verbunden

Wissen ist eine Ressource der Klugheit. Das Wissen, das man sich angeeignet hat, dient dazu innere Bilder und äußere Eindrücke zu sichten und Schlussfolgerungen zu ziehen. Um kluge Schlüsse zu ziehen, muss der Mensch sein Wissen verinnerlichen. Die mündliche Überlieferung von Wissen war und ist hierbei wahrscheinlich von Vorteil. Allan Guggenbühl erklärt: „Das Wissen wurde memoriert und in eindrücklichen, wenn auch möglicherweise langweiligen Zeremonien weitergegeben. Folge war, dass sich die Menschen viel Wissen aneigneten. Sie kannten die Sprüche und Bilder auswendig, sodass sie beim Denken spontan auf sie zurückgreifen konnten.“ Ein weiterer Vorteil der mündlichen Vermittlung war, dass Wissen mit einem Erlebnis verbunden war. Allan Guggenbühl ist seit 2002 Professor an der Pädagogischen Hochschule Zürich tätig. Außerdem fungiert er als Direktor des Instituts für Konfliktmanagement in Zürich.

Die Universitäten übernahmen das Wissensmonopol

Die Schrift ermöglichte eine ungeheure Verbreitung des Wissens. Es wurde jedem, der lesen konnte, zugänglich und damit war es potenziell jedem möglich, klug zu denken. Rasch bildeten sich jedoch Kreise und Institutionen, die die gesellschaftliche Bedeutung des Wissens und damit der Klugheit erkannten. Vor allem der Klerus vereinnahmte das Wissen für sich. Um seine Macht zu erhalten, erkor er sich zum wichtigsten Wissensverwalter. Erst die Universitäten entrissen den Kirchen das Wissensmonopol.

Dort wurden Methoden entwickelt, wie man mit dem Wissen sorgsam umgeht. Statt es zu missbrauchen, um Dogmen zu begründen, setzte man es an den Universitäten für Denkoperationen ein. Allan Guggenbühl erläutert: „Wissen wurde debattiert und nicht einfach konserviert. Man stellte Thesen auf und zog neue Schlussfolgerungen. Wissen diente der Klugheit und wurde nicht zur Legitimation von Dogmen oder Machtansprüchen missbraucht.“ Heutzutage hat sich durch das Internet die Verfügbarkeit des Wissens revolutioniert.

Es droht die große Beliebigkeit

Wenn Menschen heute etwas wissen wollen, dann können sie es einfach googeln. Das Internet festigte eine Auffassung von Wissen, die bereits bei der Entwicklung der Lexika eine große Rolle spielte: Man braucht nicht mehr zu lernen, was man auch nachschlagen kann. Es geht nur darum, wie man es abruft. Die Aneignung von Wissen wurde so zu einem technischen Akt. Der Vorteil ist, dass man Wissen in bislang unerreichten Dimensionen anzapfen kann. Innerhalb Sekunden kann man beispielsweise Kommentar zu Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“ herunterladen.

Aus der Sicht der Klugheit ist dies jedoch nicht nur ein Vorteil. Es droht die große Beliebigkeit. Um klug zu denken, braucht es ausgewähltes Wissen und nicht nur den Blick in die Welt. Ohne Führung und Vorselektion verliert sich der Mensch in Bibliotheken – ob in realen oder virtuellen. Allan Guggenbühl kritisiert: „Das effektive und wertvolle Wissen geht dann in einem Berg von Wissensschrott verloren. Banalitäten, Sensationen und Unsinn räumt man gleich viel Platz ein wie wertvollen Weisheiten.“ Quelle: „Die vergessene Klugheit“ von Allan Guggenbühl

Von Hans Klumbies