Die Moral fügt Schmerzen zu

In seinem neuen Buch „Moral als Bosheit“ beschreibt Alexander Sobek seine Auffassung über das Verhältnis von Recht und Moral. Dazu verwendet er als Instrument eine rechtsphilosophische Analyse. Dabei beschäftigt es sich auch mit der Figur des alten weißen Mannes. Denn für manche, und das sind nicht wenige, ist er das Wahrzeichen aller Übel. Und er eignet sich wunderbar dazu, gehasst zu werden. Obwohl er stereotypisch festgelegt ist, bleibt dieser Ungeliebte dennoch eine Rätselgestalt. Könnte es sich bei ihm nicht sogar um einen Wiedergänger von Vernunft und Aufklärung handeln? Immerhin tritt er so auf. Der Autor weiß, dass er für diesen inopportunen Gedanken mit allerlei Angriffen rechnen muss. Er nimmt sich jedoch vor, sie demütig zu ertragen. Alexander Somek ist seit 2015 Professor für Rechtsphilosophie und juristische Methodenlehre an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

Moralisch verurteilt zu werden ist kränkend

Durch Verbote oder Gebote soll der Einfluss von rassistischen, sexistischen, homophoben und ethnozentrischen Haltungen eingedämmt und diese langfristig überwunden werden. Das ist ein völlig legitimes Ziel. Allerdings kollidiert diese Art der Durchsetzung mitunter mit einem wichtigen liberalen Grundsatz. Alexander Somek erklärt: „Die neoliberale Linke steht auf Kriegsfuß mit der Legalität des Rechts. Deswegen fällt ein dunkler Schatten auf sie. Außerdem entpuppt sie sich auch als bloß scheinbar progressiv.“

Moralische Urteile sind Sprechakte, die jemandem weh tun oder wenigstens weh tun können. Die Moral fügt Schmerzen zu. Moralisch verurteilt zu werden ist kränkend. Es beschädigt Ehre und Ansehen. In manchen Fällen wird eine solche Kränkung aus schlechten Gründen zugefügt. Dann fällt das moralische Urteil auf jene Ebene zurück, auf der es wie jede andere verächtliche Herabsetzung beleidigt. Das macht es so „gemein“, vor allem eingedenk des Umstands, dass es verdächtig ist, böse zu sein.

Heuchlerische Urteile setzen andere herab

In manchen Fällen geht das fanatische Urteil in Heuchelei über. Die heuchlerische Moral glaubt nicht an das, was sie zu sagen vorgibt. Denn sie zielt nur darauf ab, andere herabzusetzen und den Urteilenden in ein gutes Licht zu setzen. Alexander Somek betont: „Deswegen ist es ein untrügliches Zeichen von Heuchelei, wenn das moralische Urteil bloß als Mittel dient, dem Ansehen anderer zu schaden.“ Die politische Praxis ist voll davon. Dabei besteht das Tun der Untätigen darin, die Handelnden schlecht zu reden.

Mit dem Eintritt ins Recht überwindet die Moral ihre Moralität durch Rechtsnormen. Diese gelten kraft von Entscheidungen und der Legalität der Befolgung. Alexander Somek weist darauf hin: „Deswegen muss es zu denken geben, wenn auf der Ebene der Legalität bei der Bestimmung des Rechtsinhalts die Heuchelei oder das Duckmäusertum wiederkehren.“ Das geschieht allenthalben und jederzeit, zumal bei der „Auslegung“ unbestimmter Rechtsbegriffe. Es sind dies die Stellen, an denen das Recht darum ringen muss, sich gegenüber der Moralität der Moral zu behaupten.

Moral als Bosheit
Alexander Somek
Verlag: Mohr Siebeck
Broschierte Ausgabe: 204 Seiten, Auflage: 2021
ISBN: 978-3-16-160835-3, 22,00 Euro

Von Hans Klumbies