Ungleichheit wird immer weiter vererbt

Viele Funktionäre, die in der Wirtschaft tätig sind und zahlreiche Ökonomen betonen gern, wie sehr eine Marktwirtschaft der Gegensätze bedarf. Wer wenig verdient, wird durch erfolgreiche Vorbilder angespornt und steigert dadurch das Wirtschaftsprodukt. Wer in einer Villa wohnt, darf daher nicht durch hohe Steuern belastet werden, denn das mindert die Leistungsbereitschaft aller. Aus dieser Sicht ist finanzielle Ungleichheit kein Problem, sondern ein Anreiz. Alexander Hagelüken kritisiert: „Viele Wirtschaftsfunktionäre und Ökonomen gehen aber zu weit, weil sie Ungleichheit gleich zum Mantra erfolgreicher Marktwirtschaften erheben.“ Sie sehen nur die glänzenden Oberflächen, nicht die Ambivalenz der Ungleichheit. Sie konzentrieren sich auf Ungleichheit als Anreiz und vernachlässigen, wie sehr zu große Ungleichheit zum Problem wird. Alexander Hagelüken ist als Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung für Wirtschaftspolitik zuständig.

Die Herkunft zählt oft mehr als individuelle Potentiale

Zahlreiche neue Untersuchungen legen nahe, wie mehrdeutig Ungleichheit gesehen werden muss. Der amerikanische Ökonom Alan Krueger wies mit der sogenannten „Great-Gatsby-Kurve“ nach, dass Länder mit hoher Ungleichheit besonders wenig Aufstieg von unten nach oben zulassen. Der Chef des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Joachim Möller erklärt: „Der Tellerwäscher-Mythos ist in den USA und anderen Ländern heute mehr denn je von der Lebenswirklichkeit entfernt.“

Joachim Möller fährt fort: „Ungleichheit wird immer weiter vererbt. Ungleiche Gesellschaften haben eine starke Vererbung von Wohlstand und Armut.“ Kinder von Reichen haben gute Chancen, selbst reich zu werden, während Kinder von Armen vermutlich arm bleiben. Joachim Möller ergänzt: „Wenn aber nicht individuelle Potentiale, sondern die Herkunft zählt, dann bedeutet dies nichts anderes als eine Verschwendung von Talenten und Fähigkeiten, die letztlich das ökonomische Potential eines Landes verringern.“

Ungleichheit dämpft die wirtschaftliche Nachfrage

Das bedeutet im Endeffekt: Zu große Ungleichheit schadet dem Wachstum genauso, wie es völlige Gleichmacherei tut, bei der ein fauler Kollege genauso viel verdient wie ein fleißiger. Die zu große Ungleichheit seit Beginn der 90er Jahre hat die Industriestaaten mehr als fünf Prozent Wachstum gekostet, konstatiert die OECD. Auf Deutschland hochgerechnet, bedeutet das eine Einbuße von mehr als 120 Milliarden Euro. OECD-Generalsekretär Ángel Gurría erklärt: „Gleichheit und Wachstum müssen kein Zielkonflikt sein.“

Ángel Gurría fährt fort: „Im Gegenteil Chancen zu eröffnen kann die wirtschaftliche Entwicklung und den Lebensstandard verbessern.“ Weil aber die Ungleichheit in Deutschland hoch bleibt, fällt die Wirtschaftsleistung weit niedriger aus als nötig – und es gibt weniger an alle Bürger zu verteilen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hebt vor allem darauf ab, dass die Ungleichheit die wirtschaftliche Nachfrage dämpft. Die weniger verdienende Hälfte hat zu wenig Geld, um es auszugeben. Die Reichen verdienen so viel, dass sie einen großen Teil sparen, also auch nicht ausgeben. Beides schwächt den Konsum. Quelle: „Das gespaltene Land“ von Alexander Hagelüken

Von Hans Klumbies