Der römische Philosoph Seneca empfiehlt, sich innerlich zu der Gewissheit durchzuringen, dass man auch ohne größere Besitztümer glücklich leben kann. Er äußerst sich auch dazu, wie dieser Prozess der Verinnerlichung konkret vonstattengehen soll: „… du musst den Besitz immer als etwas ansehen, das dir auch verloren gehen kann.“ Die Menschen sollen sich daran gewöhnen, Dinge nur als „geliehen“ zu betrachten. Albert Kitzler ergänzt: „Wir haben kein unverbrüchliches Anrecht auf sie. Sie kommen und gehen, und wir haben nur einen bedingten Einfluss darauf, wann und wie lange wir sie besitzen.“ In jedem Moment können wir sie verlieren. So war es immer und wird es immer bleiben. Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.
Nur das Denken gehört einem Menschen wirklich
Jeden Tag verliert man etwas, jeden Tag erhält man etwas. Wer seine innere Anbindung an materielle Dinge lockert, fühlt sich freier und mildert zugleich die vielfältigen Belastungen, die von Sorgen und Ängsten um seinen Besitz ausgehen. Denn der einzige Besitz eines Weisen sei seine Weisheit, sagt Seneca, „alles Übrige hat er nur geliehen.“ Seneca meint, es wäre gut, wenn es die Worte Verlust und Gewinn gar nicht mehr gäbe: „Schon lange verliere ich weder etwas, noch gewinne ich etwas.“
Nur das, was ein Mensch vollständig in seiner Hand hat, nämlich sein Denken und Wollen, gehört ihm wirklich. Alles andere hat ihm mehr oder weniger der Zufall in die Hand gegeben und entreißt es ihm auch wieder. Viele Menschen haben jedoch eine hohe Wertschätzung für den Besitz gepflegt und ihn immer mehr verinnerlicht. Das kapitalistische Wirtschaftssystem beruht darauf, dass materiellen Gütern der höchste Stellenwert zukommt.
Glück stellt sich nicht mit dem Besitz von Gütern ein
Unternehmen investieren täglich Unsummen in Werbung. Diese zielt in subtiler und vielfältiger Weise darauf, in den Menschen Begierden wachzurufen. Und sie will die Angesprochenen davon überzeugen, dass sich Glück erst mit dem Besitz bestimmter Güter einstellt. Deshalb betrachten viele Menschen den Besitzstand als extrem wichtig. Der Weise dagegen denkt gerade dann besonders an ein Leben ohne größere Besitztümer, wenn er sozusagen im Reichtum schwimmt. Gerade wenn es einem also gut geht, sollte man gelegentlich daran denken, wie schnell sich dieser Zustand ändern kann.
Seneca behauptet sogar: „Wer sich mit der Armut gut zu stellen weiß, ist reich.“ Das klingt erstaunlich und die wenigsten Menschen können eine solche Behauptung akzeptieren. Aber vielleicht liegt das an dem verwendeten Begriff „Armut“. Alber Kitzler erläutert: „Wir verbinden damit einen Zustand, der von den Betroffenen als leid- und sorgenvoll empfunden wird, weil es ihnen am Nötigsten mangelt.“ Besser wäre es wahrscheinlich das hier verwendete lateinische Wort mit „mittellos“ zu übersetzen. Denn Seneca meinte nicht diejenigen Menschen, die nicht genug zum täglichen Leben haben, sondern diejenigen, die sonst nichts besitzen. Quelle: „Leben lernen – ein Leben lang“ von Albert Kitzler
Von Hans Klumbies