Islamisten leiden unter selektiver Wahrnehmung

Vor der islamischen Revolution im Jahr 1979 war der Iran offener als viele andere in der Region. Damals war die Führung nationalistisch eingestellt und die Religion spielte eine wesentlich geringere Rolle als heute. Der Islam-Experte und Psychologe Ahmad Mansour erklärt: „Aber es war dennoch ein autokratisches System, das da geherrscht hatte. Also genau so undemokratisch wie jetzt – nur im Namen des Nationalismus.“ Die Entwicklungen in den letzten Jahren haben für den Islam-Experten viel mit der Rolle Saudi-Arabiens und anderer Golfstaaten zu tun. Die haben Milliarden investiert, um Moscheen zu bauen und um zu missionieren. Sie beherrschen die Länder der Region mit ihrer Ideologie. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, dass der Nationalismus im Kampf gegen die westliche Kultur vor allem gegen Israel immer wieder Niederlagen einstecken musste.

Die USA hatte nach dem Sturz der Diktatoren im Irak und Libyen keinen Plan

Die einzigen, die Israel „wehgetan“ haben – was vielen Arabern und Muslimen sehr wichtig ist –, waren die Islamisten. Und zwar Hisbollah im Libanon und Hamas in Israel. Und das hat die Menschen dazu bewegt, Islamismus und den politischen Islam als Alternative zu sehen. Ob Libyen nach Muammar al-Gaddafi oder der Irak nach Saddam Hussein. Auf die Frage, warum diese Länder nach dem Sturz ihrer Diktatoren zerfallen sind, antwortet Ahmad Mansour: „Der Unterschied zwischen Deutschland nach 1945 und dem Irak nach dem Sturz von Hussein war, dass die USA nach 2003 keinen Plan hatten.“

Die Amerikaner haben nicht versucht, das Land aufzubauen, sie hatten keinen Marshall-Plan. Da braucht man sich dann nicht zu wundern, dass das Land auseinanderbricht. Genauso Libyen: Man hat Gaddafi gestürzt und hatte dann keinen Plan, den Staat demokratisch aufzubauen. Auf die Frage, ob die USA und die westlichen Staaten ein Mitschuld an den Krisen im Nahen Osten tragen, antwortet Ahmad Mansour: „Es ist natürlich sehr beliebt und bequem zu sagen, der Westen ist verantwortlich. Aber das ist Schwarz-Weiß-Denken.“

Die Idee des Dschihad ist zur Jugendkultur geworden

Natürlich hat der Westen Fehler gemacht, aber er ist nicht für alles verantwortlich. Deshalb sieht Ahmad Mansour das Ganze sehr viel differenzierter. Die Realität ist viel komplexer als sie so mancher jugendliche Islamist wahrnehmen will. Manchmal hat Ahmad Mansour das Gefühl, Islamisten leiden an selektiver Wahrnehmung. Es radikalisieren sich nicht nur Versager oder Bildungsferne. Auch intelligente Menschen werden zu Terroristen. Die Ideologie ist ausschlaggebend für die Motivation der radikalen Islamisten.

Auf die Frage, was überhaupt dazu geführt hat, dass sich Terrorgruppen wie der IS, die Taliban oder Al-Quaida gebildet haben, antwortet Ahmad Mansour: „Die Ideologie an sich, die Idee des Dschihad, existiert seit hunderten von Jahren. Die heutigen Strukturen entstanden in Ländern, die auseinandergebrochen sind. Etwa Afghanistan oder jetzt Syrien und der Irak. Was sich verändert hat in den vergangenen Jahren: Durch Missionierung und die Sympathie für diese radikale Ideologie haben sich die Anhänger vervielfacht. Die Ideologie ist zur Jugendkultur geworden und die islamistischen Gruppierungen gewinnen damit an Macht und Anhängern. Quelle: Abendzeitung

Von Hans Klumbies