Erich Fromm denkt über die Formen der Autorität nach

Als ein Beispiel für den Unterschied der Existenzweisen des Habens und des Seins dient Erich Fromm auch das Ausüben von Autorität. Der springende Punkt ist dabei für ihn, ob man Autorität hat oder eine Autorität ist. Fast jeder Mensch übt in irgendeiner Phase seines Lebens Autorität aus. Wer Kinder erzieht, muss, ob er will oder nicht, Autorität einsetzen, um das Kind vor Gefahren zu bewahren und ihm zumindest ein Minimum an Vorschlägen für das richtige Verhalten in bestimmten Situationen geben. In einer bürokratischen, hierarchisch organisierten Gesellschaft wie der Bundesrepublik Deutschland üben die meisten Mitglieder zwangsläufig Autorität aus, mit Ausnahme der untersten Schicht der Gesellschaft, die nur als Objekte der Autorität fungieren.

Der Unterschied zwischen rationaler und irrationaler Autorität

Erich Fromm stellt klar, dass der Begriff der Autorität zwei völlig verschiedene Bedeutungen hat. Er unterscheidet die rationale von der irrationalen Autorität. Rationale Autorität fördert das Wachstum des Menschen, der sich ihr anvertraut, da sie auf Kompetenz beruht. Irrationale Autorität dagegen stützt sich auf Macht und dient zur Ausbeutung der ihr Unterworfenen. In den primitivsten Gesellschaften, bei den Jägern und Sammlern, übt derjenige Autorität aus, dessen Fähigkeiten für die jeweilige Aufgabe allgemein anerkannt sind. Zu den Qualitäten der Kompetenz zählen im allgemeinen Erfahrung, Weisheit, Großzügigkeit, Geschicklichkeit, Persönlichkeit und Mut.

Autorität, die im Sein gründet, basiert für Erich Fromm nicht auf der Fähigkeit, bestimmte gesellschaftliche Funktionen zu erfüllen, sondern gleichermaßen auf der Persönlichkeit eines Menschen, der ein hohes Maß an Selbstverwirklichung und Integration erreicht hat. Ein solcher Mensch strahlt Autorität aus, ohne drohen, bestechen oder Befehle erteilen zu müssen. Vor allem bei der Kindererziehung sind solche Menschen das Maß der Dinge, denn das Kind reagiert sehr willig auf diese Seinsautorität, da es sie braucht. Es rebelliert dagegen, von Leuten gezwungen oder vernachlässigt zu werden, die erkennen lassen, dass sie selbst nicht das geleistet haben, was sie vom heranwachsenden Kind verlangen.

Die Entfremdung der Autorität

In Gesellschaften die auf hierarchischer Ordnung basieren, wird die Autorität auf Grund von Kompetenz durch die Autorität aufgrund von sozialem Status abgelöst. Das bedeutet laut Erich Fromm nicht, dass die jetzt gültige Autorität notwendigerweise inkompetent ist, es bedeutet nur, dass Kompetenz kein Wesenselement für sie ist. Was immer die Gründe sind für den Verlust der Eigenschaften, die einem Menschen Kompetenz verleihen, so kommt es in den meisten größeren und hierarchisch gegliederten Gesellschaften zu einem Prozess der Entfremdung der Autorität. Die reale oder fiktive ursprüngliche Kompetenz geht auf die Uniform oder den Titel über.

Dass die Menschen Uniformen und Titel für Qualitäten halten, die Kompetenz verleihen, geschieht nicht ganz von selbst. Die Inhaber der Autorität und jene, die Nutzen daraus ziehen, müssen die Masse von dieser Fiktion überzeugen und ihr realistisches, das heißt kritisches Denkvermögen einlullen. Erich Fromm geht davon aus, dass jeder denkende Mensch die Methoden der Propaganda kennt, durch die die kritische Urteilskraft zerstört und das Gehirn eingeschläfert wird, bis er sich Klischees unterordnet, die ihn verdummen, weil sie ihn abhängig macht und der Fähigkeit beraubt, seinen Augen und seiner Urteilskraft zu vertrauen.

Von Hans Klumbies