In Europa sind zwanzig Prozent der Tierarten vom Aussterben bedroht

Wir Menschen greifen nicht nur in die Geosphäre ein, indem wir einen signifikanten Anstieg der Temperatur der Atmosphäre und der Oberfläche des Meeres herbeiführen. Matthias Glaubrecht fügt hinzu: „Vielmehr beeinflussen wir längst auch in vielfältiger Weise die Biosphäre und sind selbst zu einem Evolutionsfaktor des Lebens auf unserem Planten geworden. Bedingt dadurch nehmen die Vielfalt und Vielzahl der Lebewesen auf der Erde in dramatischer Weise ab, und zwar stärker noch, als bisher ohnehin schon vermutet wurde.“ Demnach sind im Durchschnitt mehr als zwei Drittel aller untersuchten Tierbestände in den vergangenen Jahrzehnten verloren gegangen. Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) warnt davor, dass in wenigen Jahrzehnten eine Million von schätzungsweise acht oder neun Millionen auf der Erde existierenden Tier- und Pflanzenarten ausstirbt. Der Evolutionsbiologe und Biosystematiker Matthias Glaubrecht ist Professor für Biodiversität der Tiere an der Universität Hamburg.

Erst die Ökosysteme machen die Erde zu einem bewohnbaren Ort

Jüngste Hochrechnungen zeigen für Europa, dass im Schnitt etwa ein Fünftel der untersuchten Arten vom Aussterben bedroht ist. Matthias Glaubrecht ergänzt: „Rechnet man diese Daten weltweit hoch, wären sogar zwei Millionen Arten in Gefahr, für immer zu verschwinden – beinahe doppelt so viele, wie vom IPBES angenommen.“ Das kann und darf uns keinesfalls gleichgültig sein. Die aufeinander abgestimmte Vielfalt an Arten baut sämtliche uns umgebende Ökosysteme auf; sie sind wie die Maschen eines ökologisches Netzes, die nicht beliebig entfernt werden dürfen, wenn es noch eine Funktion erfüllen soll.

Es sind die Ökosysteme, die diesen Planeten erst zu einem belebten und für uns und andere bewohnbaren Ort im Universum machen – dem einzigen, von dem wir dies mit Sicherheit wissen und sagen können. Matthias Glaubrecht kritisiert: „Aber vielen Menschen scheint immer noch nicht klar zu sein, das Biodiversität mehr ist als das Streckenpferd verschrobener Biologen oder das ästhetische Sahnehäubchen einer uns nun einmal umgebenden natürlichen Umwelt.“

Die Menschheit ist von der Natur abhängig

Die Artenvielfalt ist praktisch unsere Lebensversicherung; denn einer funktionierenden Biodiversität in den Böden und der darauf gedeihenden Vegetation, in Gewässern und Meeren verdanken wir sauberes Wasser und Luft sowie sämtliche Lebensmittel und unsere Gesundheit. Matthias Glaubrecht erläutert: „Alles, was wir sind und was wir tun, hängt von der Natur ab. Diese Natur aber müssen wir neu denken, das Leben auf der Erde neu sehen.“ Denn der enorme, wachsende Verbrauch irdischer Lebensformen stellt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit dar.

Und wie wir damit umgehen, ist eine der wichtigsten Zukunftsfragen – mehr noch als der und unabhängig vom gegenwärtig so viel debattierten Klimawandel. Matthias Glaubrecht betont: „Wir müssen erkennen und anerkennen, dass hinter jedem Wachstum der Wirtschaft, hinter unserem Wohlstand und dem Wohlergehen wenigsten der meisten in der westlichen Welt, hinter unserer Selbstzufriedenheit und Selbstgefälligkeit im globalen Norden der Niedergang der Natur lauert.“ Quelle: „Das stille Sterben der Natur“ von Matthias Glaubrecht

Von Hans Klumbies