Martha Nussbaum erforscht die Grenzen der Moralität

Martha Nussbaum, studierte Altphilologin und Philosophin, denkt über die Grundbedürfnisse des Menschen nach. Martha C. Nussbaum, Professorin für Recht und Ethik an der University of Chicago, lehrte auch in Harvard und an der Brown University. In ihren Texten bedient sie sich immer wieder antiker und moderner Quellen, der Dichtung, Prosa und Theorie. Ihre Forschungsbereiche scheinen weit auseinander zu liegen – Antike, Feminismus, Entwicklungspolitik und Theorie der Emotionen und vieles mehr. Und doch befruchten sie einander, werden von Martha Nussbaum auf unnachahmliche Art miteinander verbunden. Nichts Geringeres plant diese einzigartige Philosophin als eine umfassende, normativ gehaltvolle Theorie des menschlichen Daseins.

Martha Nussbaum beschreibt die Bedürfnisse der Menschen

Martha Nussbaum will dasjenige Leben beschreiben, das zu führen uns Menschen ein Bedürfnis ist. Ein anspruchsvolles Vorhaben – theoretisch für eine Zukunft auf Erden zu sorgen, die diesen Namen wirklich verdient. Die Philosophin charakterisiert bestimmte Merkmale einer anthropologischen Ausstattung, mit der Menschen in ihren Kulturen verschieden umgehen.

Dazu zählt sie unter anderen die körperliche Integrität, die Entwicklung des Verstandes, die Emotionen und die Sinne, die Geselligkeit, das Für-sich-Sein, den Kontakt zur Natur und das Spiel. Kann ein Mensch eine dieser grundlegenden Fähigkeiten nicht entwickeln, ist sein Leben verarmt und beschädigt, meist nicht, weil er selbst, sondern weil die Gesellschaft, die Politik oder die Ökonomie daran schuld sind.

Die Vision des guten menschlichen Lebens

Martha Nussbaum entwickelt ihre Variante des so genannten capability approach um eine spezifische Form der Entwicklungspolitik voranzutreiben: eine Förderung, die nicht allein am Bruttosozialprodukt und nicht an den Rechten, die auf dem Papier stehen, sondern an der tatsächlichen Fülle oder Armut menschlichen Lebens, die sich am jeweiligen Land orientiert.

Die Idee, dass es eine Art essentieller menschlicher Natur gibt, die zu entfalten und fördern der Sinn des moralischen Guten ist, geht auf den griechischen Philosophen Aristoteles zurück. Unter anderem mit Forschungsprojekten zu Indien hat Martha Nussbaum ihre philosophische und politische Vision des guten menschlichen Lebens mit der Empirie konfrontiert und konkretisiert.

Martha Nussbaum: „Frontiers of Justice“

2006 veröffentlichte Martha Nussbaum ihr Buch „Frontiers of Justice“, das von den illegitimen Grenzen der heutigen Moralität handelt. Es geht darin um die Rechte anderer Nationen, um die Rechte Behinderter, um die Rechte von Tieren. Trotz großer Unterschiede haben alle drei Gruppen eines gemeinsam: Sie sind in dem von John Rawls ursprünglich entwickelten Gesellschaftsvertrag nicht vertreten und es gibt ein starkes Machtgefälle zwischen diesen Gruppen und der Mehrheit, die die Gesetze macht und die Politik bestimmt.

Der amerikanische Philosoph John Rawls gilt als der Erneuerer der Ideen Immanuel Kants im 20. Jahrhundert, der die früheren Ideen des Gesellschaftsvertrages zu einem anspruchsvollen Gegenmodell für moderne Demokratien entwickelte. Martha Nussbaum kritisiert an dem Entwurf von John Rawls, dass die Angehörigen anderer Nationen, stark geistig Behinderte und Tiere in der Riege der Mitentscheider gar nicht erst auftauchen.

Martha Nussbaum spricht in diesem Zusammenhang von „nichtmenschlichen Tieren“, wobei es allerdings Unterschiede zwischen ihnen und den Menschen gibt, aber keine kategorische moralische Grenze. Auch die Rechte „nichtmenschlicher Tiere“ lassen sich mit dem capability approach ermitteln, allerdings in abgewandelter Form. Manche, der darin aufgeführten Fähigkeiten – wie die politische Einflussnahme – spielen für Tiere keine Rolle, viele andere aber wie das Bedürfnis nach Unversehrtheit, Sozialität und Spiel dagegen schon.

Von Hans Klumbies