Zigtausende Ratten leben inzwischen in deutschen Städten

Rein rechnerisch könnte eine weibliche Wanderratte pro Jahr 1952 Nachkommen in die Welt setzen. In Wirklichkeit sind es immerhin noch rund 500 Kinder und Kindeskinder. In Niedersachsen und Hamburg gibt es eine Rattenverordnung, anders als im Rest Deutschlands. Wer an der Alster eine Ratte entdeckt, hat die Pflicht, die Behörden zu informieren. Anita Plenge-Bönig, Epidemiologin am Hamburger Institut für Hygiene und Umwelt, sagt: „Pro Jahr gibt es etwa 780 bis 1.200 Meldungen.“ Dem Ratten-Monitoring in Norddeutschland verdankt die Forschung eine Vorstellung davon, welche Gefahren für die Gesundheit von den Ratten ausgehen. Bei Untersuchungen an 500 Tieren aus Hamburg und Niedersachsen wurden in jeder vierten Probe krankmachende Erreger entdeckt. Am häufigsten fanden die Wissenschaftler Leptospiren, Bakterien die ein Versagen der Leber oder der Nieren verursachen können.

In New York sind Ratten mit dem Hantavirus infiziert

In der Praxis scheinen die Keime aber aktuell kein großes Problem zu sein. Anita Plenge-Bönig erklärt: „In Hamburg gibt es pro Jahr zwischen null und vier Erkrankungen mit diesen Erregern, dabei ist nicht klar, ob Ratten die Infektionsquelle waren.“ In anderen Städten dagegen sind die Sorgen weitaus größer. Als New Yorker Wissenschaftler 133 Ratten untersuchten, fanden sie ebenfalls Leptospiren, aber auch das Hantavirus, das wie Ebola hämorrhagisches Fieber auslösen kann, sowie Salmonellen und Kolibakterien – insgesamt zwanzig verschiedene Keime.

Außerdem trugen die New Yorker Ratten 18 Verwandte pathogener Mikroben, die den Forschern noch unbekannt waren, in ihrem Körper. In Berlin hat Sebastian Günther, Mikrobiologe an der Freien Universität, Fäkalien von Ratten untersucht und darin viele resistente Kolibakterien entdeckt. Sechsundzwanzig Prozent der Proben waren gegen mindestens ein Antibiotikum resistent, fast vierzehn Prozent gegen mindestens drei Klassen von Antibiotika. Damit tragen die Ratten rund doppelt so viele multiresistente Keime in sich wie der Durchschnittseuropäer.

Bisse von Ratten müssen Menschen nicht befürchten

Sebastian Günther vermutet, dass die Ratten die Keime in der Kanalisation aufnehmen, vor allem über die Abwässer von Krankenhäusern. So können die Erreger dann wieder zum Menschen gelangen. Bisse von Ratten muss man eher nicht befürchten. Die Vorstellung ist abwegig, dass Ratten Menschen angreifen würden. Die Tiere übertragen Keime in erster Linie durch ihre Ausscheidungen, die Lebensmittel und Badegewässer kontaminieren oder in Form feiner Stäube eingeatmet werden können.

Es kann gut möglich sein, dass sich die Bewohner der Städte in der Zukunft häufiger mit dem Rattenproblem auseinandersetzen müssen. Die Städte wachsen und bieten den Ratten einen hervorragenden Lebensraum. Die Menschen sehen die Ratten ja gerne als Plage an, die aus unerfindlichen Gründen über sie hereinbricht und vergessen dabei, wie üppig sie die Tiere füttern. Mit Überbleibseln von Fastfood, die in Büsche und Straßenecken geworfen werden, mit Speiseresten auf dem Komposthaufen und großzügig ausgestreutem Vogelfutter locken sie die Tiere in ihre Nähe. Quelle: Süddeutsche Zeitung

Von Hans Klumbies