Ziele reduzieren die Komplexität des menschlichen Lebens

Das Titelthema des neuen Philosophie Magazins August/September Nr. 05/2015 heißt: „Braucht mein Leben ein Ziel?“ Kaum ein Mensch kann sich dem Druck dieser Frage entziehen. Denn sie trifft das Zentrum jeglicher menschlicher Existenz, offenbart geheimste Wünsche und Hoffnungen und nicht zuletzt auch verborgene Ängste. Chefredakteur Wolfram Ellenberger weist auf einen Gegensatz hin: „In der Frage nach dem Lebensziel prallen zwei menschliche Sehnsüchte aufeinander. Die nach einem tätigen Leben in dauerhaft sinnvoller und zielgerichteter Selbstbestimmung. Und die nach einer tief entspannten Existenz in lustvoller Gelassenheit.“ Die Hauptfunktion eines Zieles besteht darin, dass es einen Sinnbezug herstellt. Denn jede sinnvolle Handlung hat ein Ziel, sonst ist sie keine. An Zielen kann ein Mensch wachsen, sie reduzieren die Komplexität des Lebens, geben Halt und Struktur.

Ein übergeordnetes Ziel entspricht nicht der psychischen Realität

Die Redakteurin Dr. Catherine Newmark stellt in ihrem Beitrag „Mein Leben als Liste“ fest, dass der gehetzte Mensch der Gegenwart sich in kleinteiligen Aufgabenstellungen zu verlieren droht. Sie zitiert in ihrem Artikel den amerikanischen Philosophen John Dewey, für den gilt: „Ein übergeordnetes, gleichsam statisches Ziel, auf das wir unsere Handlungen ausrichten, entspricht schlicht nicht unserer psychischen Realität. In Wahrheit gestaltet sich unser Leben viel kleinteiliger.“ Dem Lebensphilosophen Wilhelm Dilthey zufolge, können die Menschen zwar nicht in der Gegenwart, aber doch zumindest in der Rückschau einen übergeordneten Sinn und Ziel, auf das alles hinlief, für ihr Leben herstellen. Der Philosoph und Schriftsteller Wilhelm Schmid vertritt die These, dass Menschen sich verschiedene Zielvorgaben machen. Er selbst braucht beispielsweise das große, lebensvereinheitlichende Ziel. Andere Menschen brauchen kurzfristige Ziele, wieder andere brauchen überhaupt keine Ziele. Die Lebenskunst besteht in seinen Augen immer darin, Optionen zu öffnen, niemals Normen aufzustellen. Die Lebenskunst sagt: „Schau, das sind die Möglichkeiten, die du hast. Falls du sie nicht hast, können wir daran arbeiten, sie zu öffnen.“

Chantal Mouffe: „Konsens ist das Ende der Politik“

Im Gespräch mit dem Philosophie Magazin behauptet die politische Denkerin Chantal Mouffe: „Konsens ist das Ende der Politik.“ Radikale Politik setzt die Politikwissenschaftlerin nicht mit Revolution gleich. Radikale Politik ist für sie eine Vorgehensweise, die wirklich versucht, Machtverhältnisse zu ändern. Chantal Mouffe erklärt: „Da, wo schon demokratische Institutionen bestehen, sollte sich das emanzipatorische Projekt als immanente Kritik begreifen – mit dem Anliegen, diese Institutionen zu radikalisieren, neue Formen der Machtverhältnisse und neue politische Identitäten zu schaffen.“

In der Rubrik „Der Klassiker“ geht es diesmal um Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) und dessen Konzept der Anerkennung. Seine Theorie beruht auf dem Mut und dem Willen, sich anderen Menschen entgegenzustellen und dabei seine eigene Position mit allen Mitteln zu behaupten. Der Sozialphilosoph Axel Honneth geht dabei in seinem Essay den Quellen von Hegels Anerkennungsbegriff nach. Anerkennung ist seiner Meinung nach das Kernproblem der modernen Gesellschaft: „Soziale Konflikte sind grundsätzlich Anerkennungskonflikte, selbst wenn sie vordergründig um Materielles kreisen.“

Von Hans Klumbies