Die wahre Bewährungsprobe für das Wissen ist seine Nützlichkeit

Die meisten Menschen tun sich sehr schwer, die Wissenschaften zu verstehen, weil ihre Sprache der Mathematik den menschlichen Gehirnen fremd ist und ihre Erkenntnisse oft genug dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen scheinen. Dennoch genießen die Wissenschaften ein sehr hohes Ansehen. Wohl vor allem wegen der Macht, die sie Menschen verleihen. Yuval Noah Harari nennt ein Beispiel: „Präsidenten und Generäle haben zwar keine Ahnung von Atomphysik, aber sie haben recht gute Vorstellungen davon, was sie mit einer Atombombe anrichten können.“ Francis Bacon schrieb in seinem Manifest „Neues Organon“, das er 1620 veröffentlichte, den berühmten Satz: „Wissen ist Macht.“ Der wahre Prüfstein für Wissen war für Francis Bacon nicht, ob es wahr ist oder nicht, sondern ob es den Menschen Macht verleiht. Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

Vor 1500 waren Wissenschaft und Technologie klar voneinander getrennt

Wissenschaftler gehen in der Regel davon aus, dass keine Theorie hundertprozentig richtig ist. Daher ist die Wahrheit für Yuval Noah Harari keine gute Messlatte für das Wissen. Die wahre Bewährungsprobe für das Wissen ist seiner Meinung nach vielmehr seine Nützlichkeit. Yuval Noah Harari erläutert: „Eine Theorie, die uns Macht verleiht, neue Werkzeuge an die Hand gibt und ermöglicht, neue Dinge zu tun, ist Wissen.“ In den vergangen Jahrhunderten hat die Wissenschaft viele neue Werkzeuge erfunden.

Eine ganz wesentliche Rolle spielen dabei die technischen Werkzeuge. Die Interaktion zwischen Wissenschaft und Technologie ist inzwischen so stark, dass heute viele Menschen schon die beiden verwechseln. Diese enge Beziehung zwischen Wissenschaft und Technologie ist allerdings eine sehr neue Erscheinung. Yuval Noah Harari erklärt: „Vor 1500 waren Wissenschaft und Technologie zwei klar getrennte Gebiete. Als Francis Bacon zu Beginn des 17. Jahrhunderts vorschlug, die beiden zu vereinen, war dies ein revolutionärer Gedanke.“

Zu den wichtigsten Mächten zählt heute der Komplex aus Militär und Industrie

Vor Beginn der Neuzeit bezahlten Herrscher und Unternehmer keine Wissenschaftler, um das Universum zu erforschen oder neue Technologien zu entwickeln. Die meisten Denker der damaligen Zeit verwendeten ihre Erkenntnisse nicht dazu, um neue Geräte zu erfinden. Die Herrschenden finanzierten Schulen und Universitäten, dessen Bildungsauftrag lautete: Althergebrachtes Wissen weiterzugeben und die bestehende Gesellschaftsordnung zu bestätigen. Hin und wieder erfanden Tüftler natürlich die eine oder andere Technologie, doch diese waren in der Regel dem Zufall geschuldet und nicht das Ergebnis systematischer wissenschaftlicher Forschung.

Nirgends wird der kulturelle Sprung deutlicher als im militärischen Sektor. Heute bilden Waffentechnologie und Wissenschaft ein unzertrennliches Zwillingspaar. Eine der wichtigsten Mächte der Gegenwart ist der Komplex, der aus der Verbindung zwischen Militär und Industrie besteht. Yuval Noah Harari fügt hinzu: „Die Militärs der Welt initiieren, finanzieren und dirigieren einen erheblichen Teil der wissenschaftlichen Forschung und der technischen Entwicklung. Wenn sich taktische, strategische oder politische Schwierigkeiten auftun, wenden sich Staatenlenker immer häufiger an Wissenschaftler in der Hoffnung auf Wunderwaffen, die das Problem lösen.“

Von Hans Klumbies