Wolfgang Streeck hat dem Kapitalismus nie über den Weg getraut

Wolfgang Streeck ist einer der bedeutendsten Sozialforscher Deutschlands. Der Zusammenbruch der Lehman-Bank am 15. September 2008 hat aus ihm einen enttäuschten Pessimisten gemacht, der zuvor nur als Skeptiker von sich reden machte. Kein anderer Sozialwissenschaftler außerhalb der Wirtschaftswissenschaften hat sich in seinem Leben so intensiv mit dem Kapitalismus beschäftigt wie Wolfgang Streeck. Er hat dieses Wirtschaftssystem immer kritisch betrachtet und ihm eigentlich nie über den Weg getraut. Wolfgang Streeck behielt immer die Sorge, dass, wenn man nicht aufpasst, Demokratie und Gesellschaft von den Märkten beschädigt werden und die Wirtschaft deshalb in die Gesellschaft eingebettet bleiben müsse. Ein reiner Markt ohne soziale und politische Kontrolle und Korrektur, so Wolfgang Streecks Befürchtung, fliegt am Ende selbst den bedingungslosen Anhängern des Marktes um die Ohren.

Die Bedeutung der Gewerkschaften hat stark abgenommen

Heute bezeichnet Wolfgang Streeck die Kapitalisten als „Raubtiere“, die sich eine Weile lang als „Melkkühe“ verkleidet haben: „Der Kapitalismus frisst lieber, als dass er sich melken lässt.“ Bei Wolfgang Streeck handelt es sich um einen durchgängigen Gedanken, dass die Gewerkschaften stark bleiben müssen, denn nur so können sie den Kapitalismus in seine Schranken weisen. Wolfgang Streeck leidet darunter, dass die Gewerkschaften, einstmals starkes Gegengewicht gegen die Macht des Kapitals, heute in fast allen Ländern oft nur noch eine unbedeutende Rolle spielen.

Wolfgang Streeck ergänzt: „Die Gewerkschaften sind mehr oder minder zerschollen, aber immer am hartbeinigen Widerstand der Arbeitgeber.“ Die Bedeutung der Gewerkschaften wird seiner Meinung nach marginal bleiben, weil sich niemand mehr an die Tradition des Kampfes erinnert. Es fehlt heute die Erfahrung des Erfolgs durch kollektives Handeln: „Kampfgehärtete Bataillone gibt es nicht mehr.“ Seine wissenschaftliche Laufbahn begann Wolfgang Streeck in den USA. Er zählte zur ersten kosmopolitischen Forschergeneration in der deutschen Sozialwissenschaft.

Den Euro hält Wolfgang Streeck für eine neoliberale Biestigkeit

Sein wichtigster Lehrer in den USA war Amitai Etzioni, der Wolfgang Streeck von der Bedeutung kollektiver Akteure für den Zusammenhalt einer Gesellschaft und einer Gemeinschaft überzeugte. Amitai Etzioni wurde in Deutschland als Vertreter des sogenannten Kommunitarismus bekannt, der sich als Gegengewicht zu einem einseitig individualistischen Liberalismus versteht. Im Jahr 1995 ging Wolfgang Streeck ans Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Dort wollte man schon immer die unselige akademische Parzellierung der Gesellschafsforschung überwinden.

Die Ökonomen bewundert Wolfgang Streeck für ihre Fähigkeit klinisch sauberer Modellbildung, während die Soziologie seiner Meinung nach im wahren Leben stehe, das schmutzig ist. In Wirklichkeit hält er natürlich die soziologische Niederung dem ökonomischen Elfenbeinturm für haushoch überlegen. Den Euro betrachtet Wolfgang Streeck als eine neoliberale Biestigkeit, denn Maastricht entmachtet die nationalen Parlamente in ihrer Budgethoheit. Den sozialen Frieden durch Inflationierung und Abwertung einer nationalen Währung herzustellen, verbietet der Euro. Quelle: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung

Von Hans Klumbies