Das Prinzip des Marktes besitzt nur eine begrenzte Autonomie

Die Theoretiker der sozialen Marktwirtschaft waren durchgehend davon überzeugt, dass die Markwirtschaft einer ethischen Einbettung bedarf. Ihrer Meinung nach stellt sie eine normativ vorzügliche Freiheitsordnung dar, deren wirtschafte und ethische Produktivität jedoch von nicht auf dem Markt zu erwirtschaftenden moralischen Ressourcen abhängig ist. Sie haben erkannt, dass über das Schicksal aller liberalen Ordnungsformen, insbesondere aber auch der Marktwirtschaft, jenseits von Angebot und Nachfrage entschieden wird. Wolfgang Kersting weist darauf hin, dass die Theoretiker der sozialen Marktwirtschaft gleichwohl keine Konzepte der Gerechtigkeit entwickelt haben. Wolfgang Kersting, emeritierter Professor für Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat sich vor allem mit den Themen Sozialstaat, Gerechtigkeit und Gesellschaftsordnung beschäftigt. Er veröffentlichte Bücher über Platon, Machiavelli, Thomas Hobbes, John Rawls sowie über Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie.

Die Diskussion über die Gerechtigkeit in einer Gesellschaft findet auf drei Ebenen statt

Der Diskurs über die Gerechtigkeit ist laut Wolfgang Kersting nicht mit der sozialen Marktwirtschaft entstanden. Er ist jünger, er gehört zur Transformation der sozialen Marktwirtschaft in den Sozialstaat und der immer weiter um sich greifenden Umverteilung. Das Reden über die Gerechtigkeit ist im Sozialstaat vielschichtig. Wolfgang Kersting unterscheidet drei Ebenen innerhalb der gesellschaftlichen Gerechtigkeitsdiskussionen. An erster Stelle nennt er die kleinformatigen Diskurse, die sich mit dem Problem der Gerechtigkeit innerhalb der unterschiedlichen Verteilungsregionen und der einzelnen sozialstaatlichen Sicherungssysteme beschäftigen.

Zweitens nennt Wolfgang Kersting allgemeinere Vorstellungen von Gerechtigkeit, die auf der Basis der fundamentalen politischen und kulturellen Wertorientierungen eine umfassende sozialpolitische Konzeption begründen möchten. Die dritte Ebene umfasst für Wolfgang Kersting die gerechtigkeitsethischen Entwürfe der Sozialstaatsphilosophie, die normative Grundregeln einer idealen Gerechtigkeitsgemeinschaft entwickelt. Hier wird die Gerechtigkeit zum Prinzip erklärt.

Eine bewegliche Volkswirtschaft fördert den Sozialstaat und dient der Gerechtigkeit

Wolfgang Kersting vertritt die These, dass es gänzlich falsch ist, den Markt als Magd der Gerechtigkeit zu betrachten und zu behandeln. Er schreibt: „Er ist nicht nur ein Raum eigenständiger Wertverwirklichung, er hat auch sein eigenes Prinzip. Aber der Markt ist nicht alles. Daher besitzt sein Prinzip nur eine begrenzte Autonomie.“ Andererseits ist es aber seiner Meinung nach auch nicht so, dass die Gerechtigkeit sich mit Almosen begnügen müsste, die vom Tisch der Reichen für sie abfallen. Aber auch das Prinzip der Gerechtigkeit besitzt für Wolfgang Kersting nur begrenzte Autonomie.

Der materielle Kern der gegenseitigen Abhängigkeit von Effizienz und Gerechtigkeit ist die Tatsache, dass eine Wirtschaft, die auf Wachstum basiert, die Voraussetzung für sozialstaatliche Programme der Umverteilung ist. Denn nur das kann verteilt werden, was nach Abzug der Kosten zur Sicherung des Bestandes, vom Gewinn übrigbleibt. Wolfgang Kersting fasst zusammen: „Eine bewegliche, weil regulationsminimale Volkswirtschaft ist für einen Sozialstaat förderlicher und damit der Gerechtigkeit dienlicher als eine unbewegliche, regulationsmaximale Volkswirtschaft.“

Von Hans Klumbies