Es existieren zwei grundlegende Formen der Freiheit

Wolfgang Kersting unterscheidet zwei Formen der Freiheit. Eine negative Freiheit genießen die Menschen, wenn sie frei von Zwang, Gewalt und Drohung handeln und Entscheidungen treffen können. Positive Freiheit bedeutet für den Menschen sein eigener Herr zu sein und über sein Leben selbst bestimmen zu können. Wolfgang Kersting fügt hinzu: „Negative Freiheit bedeutet Freiheit von Selbstbestimmung, positive Freiheit bedeutet Selbstbestimmung.“ Allerdings ist die Abwesenheit von Fremdbestimmung nicht hinreichend für Selbstbestimmung. Es gibt laut Wolfgang Kersting Hindernisse bei der Selbstbestimmung, die auch dann bestehen bleiben, wenn alle darauf verzichten, sich einander durch Gewalt, Drohung und Erpressung gefügig zu machen. Wolfgang Kersting, emeritierter Professor für Philosophie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat sich vor allem mit den Themen Sozialstaat, Gerechtigkeit und Gesellschaftsordnung beschäftigt. Er veröffentlichte Bücher über Platon, Machiavelli, Thomas Hobbes, John Rawls sowie über Immanuel Kants Rechts- und Staatsphilosophie.

Die negative Freiheit zeigt sich vor allem in der Beherrschung des Raums

Als Beispiele für Hindernisse bei der Selbstbestimmung nennt Wolfgang Kersting finanzielle Mittellosigkeit, eine Unterentwicklung im kognitiven und emotionalen Bereich, unzureichendes Wissen und die Unselbstständigkeit im Urteilen. Diese Hindernisse sind sehr heterogen, haben aber eine Eigenschaft gemeinsam: sie sind allesamt Ausdruck eines Mangels grundlegender Ressourcen der Selbstbestimmung. Die negative Freiheit zeigt sich vor allem in der Beherrschung des Raums, die positive Freiheit vor allem in der Verfügbarkeit von Zeit.

Der sinnfälligste Ausdruck der Einschränkung der Handlungsfreiheit ist für Wolfgang Kersting der geschlossene Raum, die Fessel, die Mündung einer Waffe, die erzittern lässt. Unfreiheit, die durch einen Zwang verursacht wird, schränkt den Bewegungsraum ein und gipfelt in völliger Bewegungslosigkeit. Die Unfreiheit, die durch Mängel verursacht wird, bewirkt dagegen einen Schwund an Zukunftsaussichten. Wolfgang Kersting ergänzt: „Dem Notleidenden kommt die Zukunft abhanden, er ist an den Augenblick genagelt.“

Der Liberalismus befürwortet sowohl den Rechtsstaat als auch den Sozialstaat

Die Freiheit steht laut Wolfgang Kersting sowohl unter der Bedingung der Abwesenheit von Zwängen als auch unter der Voraussetzung des Fehlens von Mängeln. Die erste Bedingung ist seiner Meinung nach notwendig, die zweite hinreichend. Nicht nur in einer Diktatur kann das Freiheitsrecht im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten werden, auch im Zustand der ökonomischen Mittellosigkeit verliert das Freiheitsrecht seinen Wert. Der von Wolfgang Kersting vertretene Liberalismus geht dagegen von einem ungeteilten Freiheitsbegriff aus.

Im Liberalismus gehören die freiheitsrechtlich begründete Rechtsstaatlichkeit und eine freiheitliche Wirtschaftsordnung zusammen. Auch weigert er sich, zwischen negativer und positiver Freiheit zu unterscheiden. Daher ist der Liberalismus Befürworter des sowohl des Rechtsstaats als auch des Sozialstaats. Wolfgang Kersting erläutert: „Nicht die Existenz eine Sozialstaats ist für den Liberalismus ein Problem, sondern nur seine Gestaltung.“ Sozialstaatliche Gerechtigkeit muss zumindest auf zwei Gebieten politische Initiative und institutionelle Fantasie entwickeln: im Bereich der Beschäftigungspolitik und auf dem Sektor der Ausbildung.

Von Hans Klumbies