Der Kapitalismus hat seine inneren und äußeren Grenzen erreicht

Die Raten der Zustimmung für den Kapitalismus sind überall auf der Welt, einschließlich in den westlichen Ländern seines Ursprungs, dramatisch gesunken. Die Frage nach dem Weg aus dem Kapitalismus scheint noch nie so aktuell gewesen zu sein wie heute. Sie stellt sich in radikaler Dringlichkeit und in einer vorher unbekannten Art und Weise. Wolfgang Hetzer vermutet: „Der Kapitalismus hat womöglich eine inner und äußere Grenze erreicht, die er nicht zu überschreiten vermag.“ Es ist die Rede von einem System, das nur mit Hilfe von Tricks die Krise seiner grundlegenden Kategorien wie Arbeit, Wert und Kapital überlebt. Laut Wolfgang Hetzer sollte man dabei allerdings nicht vergessen, dass es den Kapitalismus nur in der Mehrzahl gibt. Wolfgang Hetzer, Dr. der Rechts- und Staatswissenschaft, leitete von 2002 bis 2011 die Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel.

Der Kapitalismus ist ein seiner jetzigen Verfassung zu einer Bedrohung geworden

In Deutschland und in Kontinentaleuropa hat sich laut Wolfgang Hetzer jene Spielart des Kapitalismus etabliert, die von den Bankinstituten dominiert ist, indem Geschäftsbanken und Unternehmen durch Beziehungen über Kredite und persönliche Verbindungen miteinander vernetzt sind. Die Kritik am Kapitalismus kommt längst nicht mehr von der sogenannten Linken. Aus Umfragen geht hervor, dass inzwischen nur noch zehn Prozent der Weltbevölkerung die Ansicht vertreten, dass der Kapitalismus derzeit gut funktioniert.

Etwa 20 Prozent der Weltbürger halten den Kapitalismus sogar für eine falsche Wirtschaftsordnung. Wolfgang Hetzer fügt hinzu: „Es besteht vielmehr eine umfassende Einigkeit darüber, dass der Kapitalismus in seiner jetzigen Verfassung zu einer Bedrohung geworden ist.“ Sogar manche Manager und Banker scheinen das kapitalistische Wirtschaftssystem nur noch zu ertragen, weil kein besseres zur Verfügung steht. Dennoch wird der Kapitalismus überall dort heiß erseht und nachgeahmt, wo der Staat freie Märkte und Privateigentum unterbindet.

Der Kapitalismus verfügt über keine Mechanismen der Selbstreinigung

Für viele Ökonomen gilt der Markt in Europa heute nicht mehr als das alleinige Allheilmittel gegen die Fehlentwicklungen in der Wirtschaft. Für sie hat der Kapitalismus nicht per se eine selbstreinigende Wirkung. Die Exzesse des Kapitalismus passen ihrer Meinung nach nicht mehr zur heutigen Welt. Kritisiert wird auch, dass die Demokratie in der Krise den Anschein erweckt, sie habe den Auswüchsen der Märkte nichts mehr entgegenzusetzen. Eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Demokratie liegt laut Wolfgang Hetzer auch in der Tatsache begründet, dass die notwendigen Regulierungen auf den Finanzmärkten und im Bankensystem scheiterten.

Nicht wenige Ökonomen prophezeien, dass in Zukunft die Asiaten, allen voran China, ihre Prinzipien des globalisierten Kapitalismus weltweit diktieren könnten. Denn die Entwicklung eines neuen Kapitalismus hat bislang nur zu mageren Ergebnissen geführt. Dass ist laut Wolfgang Hetzer besonders beunruhigend, wenn die Einschätzung stimmt, dass der Kapitalismus das Resultat eines folgenschweren Denkfehlers und ethischen Verfalls ist. Es gibt bis heute kaum Spuren der Reparatur oder Renovierung.

Von Hans Klumbies