Wilhelm Schmid stellt unterschiedliche Ideen der Ehe vor

Eine aufgeklärte Idee der Ehe vertritt Adolph Freiherr Knigge in seinem 1788 erschienenen Buch „Über den Umgang mit Menschen“. Die Ehe ist seiner Meinung nach eine Beziehung der freien Wahl, zu der junge Menschen zwar mangels Erfahrung weniger gut vorbereitet sind, aber eher fähig, sich einander anzupassen. Mehr Bedeutung als die bloße Pflichterfüllung gewinnt laut Wilhelm Schmid bei ihm die Idee des Lustgewinns. Adolph Freiherr von Knigge schreibt: „Das Glück der Ehe besteht darin, sich wechselseitig das Leben süß und leicht zu machen. Unterschiede in Temperament, Neigung, Denkweise, Fähigkeit und Geschmack können, wenn sie nicht allzu groß werden, sogar mehr Glück gewähren.“ Wilhelm Schmid lebt als freier Autor in Berlin und lehrt Philosophie als außerplanmäßiger Professor an der Universität Erfurt.

Die Frühromantiker verabscheuen die liebelose Vernunftehe

Adolph Freiherr Knigge vertritt die Auffassung, dass Freundschaften auch nach der Eheschließung weiter bestehen sollten. Nichts ist für ihn läppischer, als wenn Eheleute glaubten, nur noch füreinander da sein zu dürfen und für Freunde „tot“ sein zu müssen. Sollten nämlich in der Ehe Schwierigkeiten entstehen, sind Freunde wichtig, um bei ihnen neue Kraft sammeln zu können. Um welche Freude es sich dabei im konkreten Fall handelt, muss jedem der Ehepartner selbst überlassen werden.

Wilhelm Schmid weist darauf hin, dass parallel zu den Gedanken von Adolph Freiherr Knigge junge Menschen die romantische Idee der Ehe entwickeln. Er erklärt: „Die Frühromantiker verabscheuen die liebelose Vernunftehe nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch.“ Gefühlt wurde hier in der Regel außerehelich, allenfalls in Ausnahmefällen wurden den Gefühlen, erst recht den leidenschaftlichen Gefühlen, die eheliche Bindung anvertraut. In Gefühlen den wichtigsten Grund für ein gemeinsames Leben zu sehen, avanciert im Laufe der Moderne jedoch zum Inbegriff der Ehe mit und ohne Trauschein.

In die freie Liebe soll sich niemand mehr einmischen

Die romantische Idee der Ehe, die auf eine Gefühlsbindung setzt, steht für Wilhelm Schmid in scharfem Kontrast zur Realität der Ehe in moderner Zeit, in der die Gefühle häufig abhandenkommen. Wilhelm Schmid erläutert: „Zerbrach in vormoderner Zeit das Gefühl an der Norm, die Vorrang hatte, so in moderner Zeit die Norm am Gefühl, das kommt und geht, wie es will.“ Der Prozess der fortschreitenden Moderne wird deshalb immer wieder von neuen Aufständen gegen die Ehe begleitet.

Die augenblickliche Aufwallung der Gefühle erscheint für Wilhelm Schmid auch dann, wenn sie nicht vorhält, weit attraktiver als die eheliche Pflicht zur Lebensgemeinschaft. Die lustvoll gelebte Sexualität steht der lustlosen Erfüllung ehelicher Pflichten gegenüber. Wilhelm Schmid fügt hinzu: „In die freie Liebe soll sich keine Kirche, kein Staat, keine Gesellschaft mehr einmischen. Zusammengekommen aufgrund freier Wahl, hält moderne Individuen nichts mehr davon ab, sich jederzeit auch voneinander zu befreien, sobald ihnen danach zumute ist.“

Von Hans Klumbies