Wilhelm Schmid stellt philosophische Ideen der Ehe vor

Familie ist, wo mehr als einer ist, wenigstens zwei, die ihr Leben gemeinsam bestreiten wollen, wobei es nicht darauf ankommt, welchen Geschlechts sie sind und aus welchen Gründen sie zusammenleben wollen. Wilhelm Schmid erklärt: „Sie fühlen sich zueinander hingezogen, wollen nicht einsam sein, suchen den gedanklichen Austausch, den körperlichen Verkehr, die materielle Absicherung: Nur sie selbst entscheiden, was den Ausschlag gibt.“ Und nicht nur Paare können Familien sein, egal ob sie Kinder haben oder nicht, sondern ebenso Alleinerziehende und alle, die eine Wohngemeinschaft bilden oder auf irgendeine andere Art zusammenleben. Bei einem Paar, das eine gemeinsame Zukunft plant, kann von einer Ehe gesprochen werden, wobei es nicht darauf ankommt, ob ein Trauschein vorhanden ist oder nicht. Wilhelm Schmid lebt als freier Autor in Berlin und lehrt Philosophie als außerplanmäßiger Professor an der Universität Erfurt.

Sokrates entwickelt eine philosophische Idee der Ehe

In der Geschichte der Ehe, die eng mit der Historie der Menschheit verbunden ist, spielte die formelle Ehe laut Wilhelm Schmid lange keine Rolle. Dominierend war vielmehr die in jeder Hinsicht sogenannte wilde Ehe, eine im Zweifelsfall durch Zwang entstandene Verbindung zwischen Männern und Frauen ganzer Sippen zum Zweck des Überlebens und der Fortpflanzung. Eine große Rolle spielte seiner Meinung nach womöglich die Erfindung des Kochens mit der darauffolgenden Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern: die Frauen sammeln und kochen, die Männer jagen und beschützen die Frauen.

Wilhelm Schmid nennt noch eine Unterart der wilden Ehe, nämlich die Raubehe. Sie ist die Aneignung von Frauen durch Männer durch nackte Gewalt. Sokrates war der Erste, der eine philosophische Idee der Ehe entwickelt. Er erörtert dabei die Frage, wie Eheleute miteinander Umgang pflegen sollten, damit die Frauen nicht länger wie Mägde behandelt werden und umgekehrt ihren Männern keinen großen Schaden mehr zufügen. Sokrates vertrat die These, dass die Ehepartner ein besonderes Vertrauensverhältnis untereinander unterhalten sollten, die notwendigen Arbeiten untereinander aufteilen und bei aller Kooperation auch um das jeweils beste Können konkurrieren sollten.

Bei Plutarch zieht das erotische Begehren und seine Befriedigung in die Ehe ein

Plutarch entwickelt im 1. Jahrhundert nach Christus die für die damalige Zeit revolutionäre Idee einer Ehe, die auf Freude und Wohlwollen beruht. In einer solchen Ehe kann das erotische Begehren mitsamt seiner Befriedigung beheimatet sein. Ungefähr zur selben Zeit entsteht auch die christliche Idee der Ehe. Wilhelm Schmid erläutert: „Jeder Mann solle eine Ehefrau, jede Frau einen Ehemann haben, um Unzuchtssünden zu vermeiden, formuliert Paulus im ersten Korintherbrief.“

Paulus vertritt die Auffassung, dass ein Mann grundsätzlich gut daran tue, keine Frau zu berühren. Wenn ihm aber die Kraft zur Enthaltsamkeit fehlt, soll er lieber heiraten. Im Epheserbrief stellt Paulus die innerehelichen Verhältnisse klar: jeder Mann soll seine Frau genauso lieben wie sich selbst, die Frau soll ihren Mann aber fürchten. Doch diese Empfehlungen waren wohl zu streng. Wilhelm Schmid erläutert: „Im Laufe der Geschichte machten sich jedoch in der Christenheit selbst wieder Zustände der wilden Ehe breit, im Klerus wurde die geforderte Ehelosigkeit vom Dorfpfarrer bis zum Papst untergraben.“

Von Hans Klumbies