Mit dem Staunen beginnt für Platon die Philosophie

Aus der Vergangenheit sind fast nur Zeiten bekannt, in denen das Fragen nicht gern gesehen war. Das gilt auch heute noch für viele Gegenden auf der Welt. Wer zu den Zeiten des Nationalsozialismus und Stalinismus oder in den Diktaturen der Gegenwart viel fragt, riskiert sein Leben. In den entwickelten Sphären der Gegenwart dagegen scheint das Fragen angesagt zu sein. Wilhelm Berger nennt Beispiele: „Keine Talkshow, in der nicht oberflächlich informierte Moderatoren ihre Gäste mit Fragen bedrängen. In sogenannten Kreativkonferenzen werden Fragen aufgeworfen und in innerhalb von Minutenfrist beantwortet: Alles ist möglich, man muss es nur wollen. Die Lehrer wollen Fragen provozieren. Die Quizmaster fragen, die Soziologen fragen.“ Professor Wilhelm Berger lehrt am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Platon gibt dem Affekt des Staunens die Form des Fragens

Philosophische Fragen zeichnen sich manchmal durch eine gewisse Radikalität aus. Dem Fragen ist ein Staunen vorausgesetzt, mit ihm beginnt für Platon die Philosophie: „Das Staunen ist die Einstellung eines Mannes, der die Weisheit wahrhaft liebt, ja es gibt keinen anderen Anfang der Philosophie als diesen.“ Aber dieses Staunen interpretiert Wilhelm Berger auf keinen Fall als harmlos interessiertes Erstaunen, das sich von einem sicheren Standort her entwickelt. Schon der Mythos transformiert den Schrecken des Unerklärlichen in erzählbare Geschichten.

Der griechische Philosoph Platon gibt dem Affekt des Staunens eine Form – und diese Form ist das Fragen. Wilhelm Berger erklärt: „Er unternimmt es, aus dem radikalen Staunen etwas zu machen, worüber man vernünftig sprechen kann. Das ist die konstruktive Seite. Für Platon ist der Horizont, auf den sich das Fragen ausrichtet, das Allgemeine: Wer danach fragt, ob eine Haltung oder Handlung gut ist, muss schließlich nach dem Guten schlechthin fragen.“ Diese Fragerichtung wird archetypisch für das künftige Philosophieren.

Das Fragen Platons bleibt ein Prozess

Dass die Frage nach dem Allgemeinen sich gleichzeitig auf die Hintergründe des Einzelnen und damit auf die Hintergründe des scheinbar faktisch Gegebenen richtet und sie damit dem Zweifel unterwirft, macht eine Seite ihrer Radikalität aus. Joseph M. Bochenski schreibt: „Dort, wo andere Wissenschaften stehen bleiben, wo sie, ohne weiter zu fragen, Voraussetzungen annehmen, fängt die Philosophie erst an zu fragen.“ Während sich die Wissenschaften über erkannte Ursachen freuen, fragt die Philosophie nach dem Konzept der Ursache selber und zieht alle Ergebnisse in die Fraglichkeit mit hinein.

Die Philosophie nimmt also einen Abstand von den Fakten „erster Ordnung“, die das Thema wissenschaftlichen Fragens sind. Platon gibt auch der sophistischen Dekonstruktion eine neue Richtung. Das ist die zweite Seite der Radikalität. Wilhelm Berger erklärt: „Denn das Fragen Platons bleibt Prozess – die Antwort ist am Ende offen. Das Gute schlechthin kann kein besonderes Gut sein, das wie alles Gegebene beschreibbar ist, und bleibt damit letztlich nicht fassbar.“ Quelle: „Was ist Philosophieren? von Wilhelm Berger

Von Hans Klumbies