Das Leben ist widersprüchlich und immer in Bewegung

Aristoteles sagt: „Die Aufgabe des Weisen ist das Ordnen.“ Seit der Entstehung der Welt gilt Ordnung als das Schöne. Ihr Gegenspieler ist das Chaos. Und Unordnung bestätigt zugleich die Notwendigkeit der Ordnung. Sie gilt im kosmischen Bereich als absolut, in dem die Sterne unabänderlich ihre Bahnen ziehen. Es ist die Dynamik von Unordnung und Ordnung, die es Platon erlaubt, Ordnung als universellen Begriff außer Zweifel zu stellen. Wilhelm Berger erklärt: „Seine universelle Ordnung setzt er daher in eine gleichzeitige Distanz und Nähe zur Wirklichkeit. Sie ist die Sphäre des Wesentlichen, welchem wir das eigentliche Sein zuschreiben in unsern Fragen und Antworten.“ Das Allgemeine gilt bei Platon immer mehr als das Besondere. Professor Wilhelm Berger lehrt am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Jeder Mensch ist Teil an der „Idee“ des Menschen

Das wirkliche Leben ist konkret, widersprüchlich, vielfältig und in Bewegung. Der Begriff, den Platon für das Verhältnis dieses Lebens zur universellen Ordnung einsetzt, heißt Teilhabe. Wilhelm Berger ergänzt: „Das meint nicht eine starre Teilhabe des einzelnen Konkreten am Allgemeinen, sondern kommt selber aus der Sphäre der Praxis: Teilnahme, Mitmachen bei einer Unternehmung.“ Indem ich Mensch bin, habe ich Teil an der „Idee“ des Menschen, ich vollziehe sie, wenn auch unvollkommen, in meinem Menschsein.

Wenn sich Menschen darüber auseinandersetzen, was in einer konkreten Situation gut oder schön ist, sprechen sie hin auf den Horizont des Guten und des Schönen selbst, ohne diesen Horizont aber jemals erreichen zu können. Die Ordnungsaufgabe des Philosophierens besteht dann darin, dieses Teilnehmen als Prozess zu organisieren. Das Modell dafür sind die Dialoge Platons. Das Christentum übernimmt das Konzept der universellen Ordnung und wird die von Platon gesetzte Nähe und Distanz radikal transformieren.

Die Natur sorgt für Stabilität und Einheit

Einerseits steht Gott in radikaler Distanz zu der von ihm geschaffenen Welt. Gott transzendiert alle Veränderung. Andererseits regelt die Ordnung, die Gott gestaltet hat, unmittelbar das Sein der Dinge. Wilhelm Berger erläutert: „Denn Gott hat sie nicht einfach dem „Chaos“ aufgezwungen, wie es der platonische „Demiurg“ aus seiner Abneigung heraus tat. Sondern er schuf, indem er ordnete. Schaffen und ordnen sind ein und derselbe Prozess.“ Schon die Unterscheidung zwischen Himmel und Erde führt eine hierarchische Ordnung ein.

Isaac Newton, der von 1642 bis 1727 lebte, hat der Natur das göttliche Amt übertragen, für Stabilität und Einheit zu sorgen. Was einst der transzendente Gott garantierte, leisten nun die absolute Zeit und der absolute Raum. Die Erkenntnis, dass auch als determiniert angesehene Prozesse nicht vorhersagbar sind, unterminiert schließlich vollends die an den Begriff Naturgesetz gehefteten Erwartungen. Der Physiker Werner Heisenberg, der von 1901 bis 1976 lebte, hat mit seiner „Unschärferelation“ gezeigt, dass auf quantenphysikalischer Ebene der Ort und die Geschwindigkeit eines Teilchens nicht gleichzeitig genau bestimmt werden können. Quelle: „Was ist Philosophieren“ von Wilhelm Berger

Von Hans Klumbies