Wilhelm Berger erzählt vom Glück und Unglück des Anfangens

Wer zu Philosophieren beginnt, ist laut Wilhelm Berger in einen Anfang geraten. Zwar mag ein reines, gewissermaßen unschuldiges Interesse am Allgemeinen zum Philosophieren führen, aber in der Regel ist ein Bruch schon der Ausgangspunkt. Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek sagt: „Philosophieren ist von Anfang an nicht der Diskurs dessen, der sich zu Hause weiß.“ Der marokkanische Philosoph Alain Badiou konkretisiert diese Äußerung: „Die Philosophie ist nicht einfach Nachdenken über irgendetwas. Die Philosophie ist und kann nur sein, weil es paradoxale Beziehungen gibt, Entscheidungen, Distanzen und Ereignisse.“ Somit sucht das Philosophieren Antworten und wird sie ständig verfehlen. Erst wer diese Spannung annimmt, wird jenes „Gefühl von Befreiung und Freude, das man beim Philosophieren erleben kann“, tatsächlich empfinden, von dem der amerikanische Philosoph Jay Rosenberg schreibt. Professor Wilhelm Berger lehrt am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Der flexible Mensch bleibt immer in Bewegung

Anfangen ist für Wilhelm Berger andererseits auch ein aktuelles Thema. Kein Motivationstraining scheint mehr zu funktionieren ohne den Aufruf zum Neubeginn. Wilhelm Berger schreibt: „Das rückt das Thema Anfangen in die Nähe der Forderungen, mit denen die Kultur des neuen Kapitalismus konfrontiert: „Der flexible Mensch“, so der Titel eines kritischen Buchs des amerikanischen Soziologen Richard Sennett, bleibt in Bewegung, geht keine langfristigen Bindungen ein, und er kann für bedeutungslos erklären, was einem Neuen im Wege ist.“

Der flexible Mensch ist also fähig, sich immer wieder zu verlieren und neu anzufangen. Er ist zugleich aber auch ein unglückliches Wesen, da er Kernbereiche des sozialen Lebens wie Beziehungen zwischen Freunden und Partner, die ein Minimum an Dauerhaftigkeit benötigen, immer wieder neu zerstören muss. Die Spannung zwischen Glück und Unglück spitzt sich zu, wenn das Anfangen jenseits der kruden Forderung nach Flexibilität konsequenter gedacht wird. Wilhelm Berger erklärt: „Anfangen braucht Möglichkeiten, um zu durchbrechen, was ohnehin mit Notwendigkeit abläuft.“

Das Anfangen kann einen Weg ins Offene weisen

Dieses Anfangen und sein Möglichkeitsraum meinen zunächst den „Ausweg“. Aristoteles spricht vom Menschen als Wesen der Wahl, was dann jeweils schon existierende Alternativen mit einschließt, und unterscheidet die Wahl von der Spontaneität. Man könnte das Anfangen-Können auch als ein Faktum bezeichnen, das allen Eigenschaften des Menschen schon vorangeht. Der Gedanke des radikalen Anfangs erweist sich als schon christliches Motiv, wenn der Apostel Paulus über Christus sagt, er „war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm“.

Beim deutschen Philosophen Walter Benjamin geht es beim radikalen Anfang darum, das Kontinuum der Geschichte aufzusprengen. Die politische Theoretikerin und Publizistin Hannah Arendt schließlich begreift in ihrem Buch „Vita activa“ den Menschen als Wesen, das „selbst im Besitz der Fähigkeit ist anzufangen: es ist der Anfang des Anfangs oder des Anfangens selbst.“ Aber dieses Anfangen ist für sich selber nichts. Es ist nichts anderes als eben das Zustoßen oder der Vollzug des Anfangens selber. Es kann einen Weg ins Offene weisen.

Von Hans Klumbies