Walter Benjamin bestimmt die Begriffe Schicksal und Charakter

Schicksal und Charakter werden laut Walter Benjamin gemeinhin als kausal verbunden angesehen, und der Charakter wird dabei als Ursache des Schicksals bezeichnet. Der Charakter wie auch das Schicksal kann seiner Meinung nach nur in Zeichen, nicht an sich selbst überschaut werden, denn, mag auch dieser oder jener Charakterzug, diese oder jene Verkettung des Schicksals unmittelbar vor Augen liegen, es ist doch der Zusammenhang, den jene Begriffe meinen. Das System der Zeichen, die den Charakter betreffen, wird im allgemeinen auf den Leib beschränkt, wenn man von der charakterlogischen Bedeutung derjenigen Zeichen absieht, die das Horoskop untersucht. Zum Zeichen des Schicksals können der überlieferten Anschauung gemäß neben den leiblichen alle Erscheinungen des äußeren Lebens werden. Der deutsche Philosoph, Literaturkritiker und Übersetzer Walter Benjamin wurde am 15. Juli 1892 in Berlin geboren. Am 26. September 1940 nahm er sich auf der Flucht vor der Gestapo an der spanischen Grenze das Leben.

Ein Mensch mit Charakter hat ein konstantes Schicksal

Für Walter Benjamin ist es nicht möglich, anzugeben, was letzten Endes als Funktion des Charakters, was als Funktion des Schicksals in einem Menschenleben zu gelten hat. Dagegen kann die Außenwelt, die der handelnde Mensch vorfindet, in beliebig hohem Maße auf seine Innenwelt sowie sein Innerstes auf sein Äußeres zurückgeführt werden. In dieser Betrachtungsweise werden der Charakter und das Schicksal eine Einheit bilden, wenn sie nicht theoretisch geschieden werden.

Walter Benjamin zitiert Friedrich Nietzsche, der gesagt hat: „Wenn einer Charakter hat, so hat er auch ein Erlebnis, das immer wiederkehrt.“ Das heißt für Walter Benjamin, dass das Schicksal eines Menschen im wesentlichen konstant ist, wenn er über einen Charakter verfügt. Er ergänzt: „Dies heißt freilich auch wieder: so hat er kein Schicksal – und diese Konsequenz haben die Stoiker gezogen.“ Bei der Begriffsbestimmung geht Walter Benjamin davon aus, dass mit Sicherheit Schicksal nicht dort sein wird, wo Charakter ist.

Allein Handlungen können anhand der Moral beurteilt werden

Der Charakter wird laut Walter Benjamin gewöhnlich in einen ethischen, wie das Schicksal in einen religiösen Zusammenhang gestellt. Aus der Ethik und Religion sind sie durch die Aufdeckung des Irrtums, der sie dorthin verfrachten konnte, zu verbannen. Walter Benjamin erklärt: „Dieser Irrtum ist mit Beziehung auf den Begriff des Schicksals durch dessen Verbindung mit dem Begriff der Schuld veranlasst. So wird, um den typischen Fall zu nennen, das schicksalhafte Unglück als die Antwort Gottes oder der Götter auf religiöse Verschuldung angesehen.“

Walter Benjamin vertritt die These, dass sich die Begründung des Begriffs des Charakters sich ebenfalls auf eine Natursphäre zu beziehen hat und mit der Ethik und Moral genauso wenig zu tun hat, wie das Schicksal mit der Religion. Menschen mit schwachem Verstand glauben das moralische Wesen des betreffenden Charakters zu erkennen und dabei schlechte und gute Eigenschaften unterscheiden zu können. Aber bei näherer Betrachtung der Moral erweist es sich, dass Eigenschaften niemals, sondern allein Handlungen moralisch erheblich sein können.

Von Hans Klumbies