Walter Benjamin stellt seine Philosophie der Zukunft vor

Für Walter Benjamin ist es die zentrale Aufgabe der kommenden Philosophie die tiefsten Ahnungen, die sie aus der Zeit und dem Vorgefühl einer großen Zukunft schöpft, durch die Beziehung auf das Philosophiesystem von Immanuel Kant zu Erkenntnis werden zu lassen. Walter Benjamin begründet dies wie folgt: „Denn Kant ist von denjenigen Philosophen, denen es nicht unmittelbar um den Umfang und die Tiefe, sondern vor Allem, und zu allererst, um die Rechtfertigung der Erkenntnis ging der jüngste und nächst Platon auch wohl der Einzige.“ Der deutsche Philosoph, Literaturkritiker und Übersetzer Walter Benjamin wurde am 15. Juli 1892 in Berlin geboren. Am 26. September 1940 nahm er sich auf der Flucht vor der Gestapo an der spanischen Grenze das Leben.

Das Ziel ist die zeitlose Gültigkeit der Erkenntnis

Immanuel Kant und Platon ist die Zuversicht gemeinsam, dass die Erkenntnis von der wir die reinste Rechenschaft haben zugleich die tiefste sein werde. Das universale philosophische Interesse ist laut Walter Benjamin stets zugleich auf die zeitlose Gültigkeit der Erkenntnis und auf die Gewissheit einer zeitlichen Erfahrung, die als deren nächster wenn nicht einziger Gegenstand betrachtet wird, gerichtet. Nur ist den Philosophen diese Erfahrung in ihrer gesamten Struktur nicht als eine singulär zeitliche bewusst gewesen und sie war es auch Immanuel Kant nicht.

Es ist von der höchsten Wichtigkeit für die kommende Philosophie, zu erkennen und zu sortieren, welche Elemente des Denkens von Immanuel Kant aufgenommen und gepflegt, welche umgebildet und welche verworfen werden müssen. Jede Forderung eines Anschließens an Immanuel Kant beruht für Walter Benjamin auf der Überzeugung, dass dieses System, in dem bis zum Genialen die Nachforschung nach Gewissheit gesteigert wurde und das bei der Rechtfertigung dieser Erkenntnis diejenige Tiefe erschöpft und entwickelt hat, die es einer noch kommenden und höheren Art der Erfahrung wird gleichberechtigt erscheinen lassen.

Ein höherer Erfahrungsbegriff wird angestrebt

Damit ist für Walter Benjamin die Hauptforderung an die kommende Philosophie aufgestellt und zugleich ihre Erfüllbarkeit behauptet: unter der Typik des Denkens von Immanuel Kant die erkenntnistheoretische Fundierung eines höheren Erfahrungsbegriffes vorzunehmen. Allerdings sind auch die entscheidenden Irrtümer der Kantischen Erkenntnislehre nicht zu bezweifeln. Walter Benjamin schreibt: „Die Schwäche des Kantischen Erkenntnisbegriffes ist oft gefühlt worden, indem der mangelnde Radikalismus und die mangelnde Konsequenz seiner Lehre gefühlt worden ist.“

Eine der höchsten Aufgaben einer kommenden Philosophie wird es auch sein, das wahre Kriterium des Wertunterschiedes der Bewusstseinsarten festzustellen. Walter Benjamin schreibt: „Den Arten des empirischen Bewusstseins entsprechen ebenso viele der Erfahrung, welche mit Hinsicht auf ihre Beziehung aufs empirische Bewusstsein, was die Wahrheit angeht, lediglich den Wert der Phantasie oder Halluzination haben.“ Denn eine objektive Beziehung zwischen empirischen Bewusstsein und dem objektiven Begriff von Erfahrung ist seiner Meinung nach unmöglich.

Von Hans Klumbies