Walter Benjamin analysiert das Naturrecht und das positive Recht

Die Aufgabe einer Kritik der Gewalt umschreibt Walter Benjamin als die Darstellung ihres Verhältnisses zu Recht und Gerechtigkeit. Denn zur Gewalt im eigentlichen Sinne des Wortes wird eine wie immer wirksame Ursache erst dann, wen sie in sittliche Verhältnisse eingreift. Walter Benjamin erklärt: „Die Sphäre dieser Verhältnisse wird durch die Begriffe Recht und Gerechtigkeit bezeichnet.“ Das elementarste Grundverhältnis einer jeden Rechtsordnung ist seiner Meinung nach dasjenige von Zweck und Mittel. Zudem ist Walter Benjamin klar, dass Gewalt zunächst nur im Bereich der Mittel, nicht der Zwecke aufgesucht werden kann. Der deutsche Philosoph, Literaturkritiker und Übersetzer Walter Benjamin wurde am 15. Juli 1892 in Berlin geboren. Am 26. September 1940 nahm er sich auf der Flucht vor der Gestapo an der spanischen Grenze das Leben.

Die Anwendung von Gewalt zu gerechten Zwecken ist vom Naturrecht her legitimiert

Walter Benjamin stellt sich die Fragen, ob Gewalt jeweils in bestimmten Fällen Mittel zu gerechten oder ungerechten Zwecken sei und ob Gewalt überhaupt, als Prinzip, selbst als Mittel zu gerechten Zwecken sittlich sei. Eine große Richtung in der Rechtsphilosophie, vielleicht ihr hervorstechendsten Merkmal ist für Walter Benjamin das Naturrecht. Er schreibt: „Es sieht in der Anwendung gewaltsamer Mittel zu gerechten Zwecken so wenig ein Problem, wie der Mensch eines im „Recht“, seinen Körper auf das erstrebte Ziel hinzubewegen, findet.“

Das Naturrecht vertritt die Anschauung, dass die Gewalt ein Naturprodukt ist, gleichsam ein Rohstoff, dessen Verwendung keiner Problematik unterliegt, es sei denn, dass man die Gewalt zu ungerechten Zwecken missbrauchen würde. Dieser naturrechtlichen These von der Gewalt als natürliche Gegebenheit tritt die positiv-rechtliche von der Gewalt als historisches Produkt diametral entgegen. Walter Benjamin erläutert: „Kann das Naturrecht jedes bestehende Recht nur beurteilen in der Kritik seiner Zwecke, so das positive jedes werdende nur in der Kritik seiner Mittel.“

Das positive Recht verlangt von jeder Gewalt einen Ausweis über ihren historischen Ursprung

Die naturrechtliche und die positiv-rechtliche Auffassung von Gewalt begegnen sich allerdings in einem gemeinsamen Grunddogma: Berechte Zwecken können durch berechtigte Mittel erreicht, berechtigte Mittel an gerechte Zwecke gewandet werden. Walter Benjamin fügt hinzu: „Das Naturrecht strebt, durch die Gerechtigkeit der Zwecke die Mittel zu „rechtfertigen“, das positive Recht durch die Berechtigung der Mittel die Gerechtigkeit der Zwecke zu „garantieren“.“

Das positive Recht ist laut Walter Benjamin blind für die Unbedingtheit der Zwecke, das Naturrecht blind für die Bedingtheit der Mittel. Die positive Rechtstheorie nimmt allerdings eine grundsätzliche Unterscheidung hinsichtlich der Arten der Gewalt vor, unabhängig von den Fällen ihrer Anwendung. Diese findet zwischen der historisch anerkannten, der sogenannten sanktionierten, und der nichtsanktionierten Gewalt statt. Dabei verlangt das positive Recht von jeder Gewalt einen Ausweis über ihren historischen Ursprung, welcher unter gewissen Bedingungen ihre Rechtmäßigkeit, ihre Sanktion erhält.

Von Hans Klumbies