Walter Benjamin klärt über die dunkle Seite der Erfahrung auf

Den Kampf um Verantwortlichkeit kämpft der Mensch laut Walter Benjamin mit einem Maskierten. Die Maske des Erwachsenen heißt für ihn „Erfahrung“. Sie ist ohne Ausdruck, undurchdringlich, hat immer das gleiche Aussehen. Walter Benjamin schreibt: „Alles hat dieser Erwachsene schon erlebt: Jugend, Ideale, Hoffnungen, das Weib. Es war alles Illusion.“ Oft sind die Menschen eingeschüchtert und verbittert. Vielleicht sogar mit Recht. Immer mehr befällt Walter Benjamin das Gefühl, dass die Jugend nur eine kurze Nacht sei, die mit Rausch erfüllt werden müsse. Danach kommt seiner Meinung nach nur noch die große „Erfahrung“, die Jahre der Kompromisse, die Armut der Ideen und eine zermürbende Schwunglosigkeit. So ist das Leben. Der deutsche Philosoph, Literaturkritiker und Übersetzer Walter Benjamin wurde am 15. Juli 1892 in Berlin geboren. Am 26. September 1940 nahm er sich auf der Flucht vor der Gestapo an der spanischen Grenze das Leben.

Die Erfahrung zeigt den Menschen die Botschaft von der Gewöhnlichkeit des Lebens

Die Erwachsenen haben sie erfahren, die Sinnlosigkeit und Brutalität des Lebens. Aller Sinn dagegen, das Wahre, das Gute, das Schöne ist laut Walter Benjamin in sich selbst begründet. Was sollen da die Menschen mit der Erfahrung anfangen. Sie zeigt sich ihnen als Botschaft von der Gewöhnlichkeit des Lebens. Die meisten Menschen begreifen nie, dass es etwas anderes gibt als Erfahrung, dass es Werte gibt, unerfahrbare, denen sie dienen könnten. Deshalb ist für diese Philister das Leben trostlos und ohne den geringsten Sinn.

Diese Menschen kennen nur die Erfahrung, nichts weiter. Für Walter Benjamin ist diese Spezies trostverlassen und geistlos, weil sie zu nichts ein so innerliches Verhältnis hat, als zum Gemeinen, zum Ewig-Gestrigen. Doch es gibt Alternativen. Walter Benjamin schreibt: „Wir kennen aber Andres, was keine Erfahrung uns gibt oder nimmt: dass es Wahrheit gibt, auch wenn alles bisher Gedachte Irrtum war. Oder: dass Treue gehalten werden soll, auch wenn bisher niemand sie hielt. Solchen Willen kann uns Erfahrung nicht nehmen.“

In Wirklichkeit erlebt ein Mensch immer nur sich selbst

Sinnlos und vom Geist verlassen ist die Erfahrung laut Walter Benjamin nur für die Geistlosen. Schmerzlich vielleicht kann sie dem Strebenden sein, aber kaum wird er an ihr verzweifeln. Niemals wird er in Dumpfheit resignieren und vom Rhythmus des Philisters sich in den Schlaf wiegen lassen. Denn dieser bricht bei jeder neuen Sinnlosigkeit in Jubel aus, obwohl niemand strammere Unterwürfigkeit und strengere Ehrfurcht vor dem Geist verlangt als er. Und nichts hasst der Philister mehr als die unerfüllt gebliebenen Träume seiner Jugend.

Die Erfahrung, die Walter Benjamin meint, kann geistfeindlich sein und viele Blütenträume vernichten. Aber sie hat auch eine andere Seite. Walter Benjamin schreibt: „Dennoch ist sie das Schönste, Unberührbarste, Unmittelbarste, denn nie kann sie geistlos ein, wenn wir jung bleiben. Man erlebt immer nur sich selbst, so sagt Zarathustra am Ende seiner Wanderung.“ Der Philister allerdings hat nur die eine Erfahrung, es ist die der Geistlosigkeit. Der Jüngling dagegen wird den Geist erleben, und je weniger er Großes ohne Mühe zu erreichen sucht, desto mehr wird er überall auf seinem Lebensweg und in allen Menschen den Geist finden.

Von Hans Klumbies