Walt Whitman führt den freien Vers in der Lyrik ein

Mit seiner monumentalen Gedichtsammlung „Grashalme“ hat Walt Whitman eine eigenständige neue amerikanische Lyrik geschaffen. Sie ist humanistisch und demokratisch geprägt und enthält ebenso individualistische Inhalte. Walt Whitman wurde 1819 in West Hill auf Long Island geboren und arbeitete nach einem kurzen Schulbesucht als Buchdrucker, Journalist und Lehrer. Er war reiner Autodidakt und eignete sich sein enormes Wissen über die Klassiker der Literatur selbst an. Von 1841 an verdiente Walt Whitman sein Geld als Redakteur von Zeitungen und Almanachen und veröffentlichte erste Gedichte und Erzählungen, die noch einen konventionellen Charakter hatten.

Fast 400 Gedichte bilden die Einheit der „Grashalme“

1855 erschien die erste Auflage der „Grashalme“ mit 13 Gedichten, die sich fundamental von aller Lyrik unterschied, die bis zu diesem Zeitpunkt existierte. In der Endfassung enthielt das Werk fast 400 Gedichte, die trotz ihrer thematischen und stilistischen Verschiedenheit eine Einheit bilden. Seine Erfahrungen, die er im Amerikanischen Bürgerkrieg gesammelt hatte, hielt er in dem Gedichtsband „Trommelschläge“ von 1865 fest.

Diese Kriegsgedichte zeichneten sich durch einen zuvor ungekannten Realismus und Humanismus aus. Von 1872 an arbeitete Walt Whitman als Beamter in verschiedenen Bundesministerien. Ein Jahr zuvor veröffentlichte er einen Essay, der sich kritisch mit der amerikanischen Kultur auseinandersetzte, mit dem Titel „Demokratische Ausblicke“, der bis heute zu den bedeutendsten politischen Veröffentlichungen in Amerika zählt.

Walt Whitman nimmt den Eros, das Leiden und den Tod in seine Lyrik auf

Sein Hauptwerk die „Grashalme“ wurden nicht von allen Kritikern mit Begeisterung aufgenommen. Vor allem die offene Thematisierung der Sexualität stieß im prüden Amerika auf Ablehnung. Auch die Ausdrücke aus der Vulgärsprache und dem Dialekt, die er in seine Lyrik einbaute, missfielen. Walt Whitman selbst bezeichnete sich als einen Dichter der Demokratie, der eine Versöhnung zwischen Individuum und Gesellschaft anstrebte.

Walt Whitman schafft die Einheit in der Vielfalt in den „Grashalmen“ durch ein lyrisches Ich, das sowohl für die Individualität als auch für das Universelle steht. Der Titel des Lyrikbandes nennt schon die Natur als Quelle der Eingebung und des Ideenreichtums. Walt Whitman nahm nicht nur die Erfahrungen des Alltags, sondern auch alle Formen der Körperlichkeit in seien Lyrik auf.

Walt Whitman revolutioniert die Lyrik

Seine erotische Offenheit schloss alle Spielarten der Sexualität mit ein, einschließlich der Homosexualität. Die Themen Leiden und Tod als existentielle Bestandteile des menschlichen Lebens haben ebenso den Weg in die „Grashalme“ gefunden. Durch die Dialogstruktur der Gedichte spricht Walt Whitman den Leser in der direktesten Form an, um mit ihm das demokratische Prinzip zu huldigen.

Die radikale Neuerung in der Lyrik, die Whitman in den „Grashalmen“ einführte, war der freie Vers. Die metrische Struktur war somit aufgehoben, sprachliche Sinneinheiten traten an ihre Stelle. Dieser Stil erlaubt einen freien Rhythmus und eine größere Bandbreite an Variationen. Jede Zeile enthält einen vollständigen Satz oder Satzteil, wodurch sich das Gedicht der Struktur des Romans nähert. Durch die Einführung des freien Verses hat Walt Whitman bedeutendes für die Lyrik geleistet.

Von Hans Klumbies