Cusanus war einer der begabtesten Deutschen des Mittelalters

Nikolaus von Kues, der von 1401 bis 1464 lebte, hat vor allem Traktate und Dialoge geschrieben und dazu knapp 300 Predigten verfasst. Für Vittorio Hösle war Nikolaus von Kues der wohl am vielseitigsten begabte Deutsche des Mittelalters. Er war ein philosophischer Theologe, der auf hohem Niveau juristisch, mathematisch und naturwissenschaftlich denken konnte. Cusanus, wie er auch genannt wurde, machte eine glänzende Karriere als Kardinal, Fürstbischof von Brixen und als Berater des Papstes. Nach ihm wird man keinen vergleichbar bedeutenden Intellektuellen in hohen kirchlichen Ämtern mehr finden. Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA). Sein neuestes Buch trägt den Titel “Eine kurze Geschichte der deutschen Philosophie und ist im C. H. Beck Verlag erschienen.

Die Menschwerdung hat die Aufgabe der Vollendung der Seinsstruktur

Cusanus studierte in Heidelberg und promovierte anschließend in Kirchenrecht in Padua. Humanistisch gebildet, entdeckte er unter anderem Handschriften bisher unbekannter Komödien des Plautus und entlarvte die Konstantinische Schenkung als Fälschung. In seinem ersten Buch „De concordantia catholica“ verteidigt Nikolaus von Kues die konziliaristische Position, die besagt, dass ein Konzil einen Papst absetzen kann, wenn dieser seine Pflichten verletzt. Er entwickelte außerdem eine Staatsphilosophie, die Herrschaft weitgehend durch Konsens legitimiert.

Nikolaus von Kues vertrat die Ansicht, dass der Papst nicht das Recht habe, ohne den Konsens der Bevölkerung einen Monarchen ein- oder abzusetzen. In seinen philosophisch-theologischen Werken „De docta ignorantia“ und „De venatione sapientiae“ hegt er keinen Zweifel an der philosophisch zentralen Bedeutung von Christus. Gott deutet er als das absolut Größte. Vittorio Hösle fügt hinzu: „Gott ist wesentlich der einheitliche Grund der Welt, die mit Christus zu ihrem Ursprung zurückkehrt. Die Menschwerdung hat nicht primär die Aufgabe stellvertretender Genugtuung, sondern diejenige der Vollendung der Seinsstruktur.“

Für Nikolaus von Kues ist nur ein gelehrtes Unwissen von Gott möglich

Die Erkenntnis Gottes ist für Cusanus begrenzt, denn da es zwischen Endlichem und Unendlichem keine Proportion gebe, sei nur gelehrtes Unwissen von Gott möglich. Vittorio Hösle weist darauf hin, dass Cusanus allerdings eine neue Methode vorschlägt, um sich Gott zu nähern: „Man gehe von endlichen mathematischen Figuren aus, steige zu unendlichen auf und von ihnen schließlich zu den schlechthin Unendlichen.“ Von besonderer Bedeutung sind auch seine Schriften „Idiota de sapientia“, „de mente“ und „de staticis experimentis“.

Dramatisch interessant an den Dialogen ist für Vittorio Hösle die Darstellung der deutlichen Überlegenheit eines Laien gegenüber einem Redner beziehungsweise Philosophen, die für die humanistische Tradition stehen. Von besonderer Bedeutung ist auch sein Lob des menschlichen Geistes, der nun nicht mehr als Entfaltung der göttlichen Einheit, sondern als deren direktes Abbild verstanden wird. Der Geist wird damit der Kontinuität mit Seele und körperlicher Welt entzogen. Vittorio Hösle erläutert: „Der göttliche Geist wolle sich im menschlichen Geist gleichsam nochmals schaffen, und der menschliche Geist sei paradoxerweise gerade dadurch vollkommener, dass er Gott nicht allzu ähnlich sei, denn allein dadurch werde ein Prozess der Angleichung an Gott ermöglicht, in dem der Geist seine Lebendigkeit beweise.“

Von Hans Klumbies