Immanuel Kant ist am revolutionärsten in seiner Ethik

Immanuel Kant, der von 1724 bis 1804 lebte, publizierte sein erstes epochales philosophisches Werk, die „Kritik der reinen Vernunft“, 1781 im Alter von 57 Jahren. Um seine Ideen auszuarbeiten, brauchte Immanuel Kant also viel Zeit. Er nahm sich die Zeit, die er brauchte, um seine Philosophie neu zu strukturieren und zu begründen. Vorher hatte er nur seine „Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral“, 1764 veröffentlicht, einen zweiten Preis der Berliner Akademie der Wissenschaften erhalten. Vittorio Hösle empfiehlt dem Anfänger in der Philosophie dringend das Studium der Schriften Immanuel Kants, zudem diese nicht nur den Scharfsinn schulen, sondern zudem jenen sittlichen Ernst vermitteln, ohne den Philosophie selten mehr ist als das Lösen von Puzzles. Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).

Immanuel Kant zerstört in seiner theoretischen Philosophie die alte Metaphysik

Immanuel Kant ist auf allen Gebieten der Philosophie aufs höchste schöpferisch. Seit Platon und Aristoteles hat es für Vittorio Hösle eine vergleichbare Kreativität nicht mehr gegeben. Auch wenn Immanuel Kant das Projekt des 17. Jahrhunderts fortführt, nämlich die moderne Wissenschaft philosophisch zu rechtfertigen, ist er doch am revolutionärsten in seiner Ethik. Vittorio Hösle erklärt: „Kants ethischer Universalismus entspricht in seiner materiellen Forderung nach Gleichheit in Rechten und Pflichten weitgehend der europäischen Aufklärung.“

Immanuel Kant gibt seinem ethischen Universalismus eine metaethische Begründung und bietet eine komplexe Metaphysik der Ethik, die der deutschen Kultur einen besonderen Reiz verlieh. Vittorio Hösle weist darauf hin, dass sogar das deutsche Grundgesetz von 1949 im Geiste Immanuel Kants verfasst wurde. Zudem zerstört Immanuel Kant in seiner theoretischen Philosophie die alte Metaphysik. Keiner der traditionellen Gottesbeweise ist danach noch aufrechtzuerhalten.

Immanuel Kant hat seine Ethik an der Verunft ausgerichtet

Andererseits hat Immanuel Kant in seiner praktischen Philosophie einen neuen Zugang zu Gott eröffnet, und zwar paradoxerweise gerade dadurch, dass er die Grundlegung der Ethik vollständig von allen Hoffnungen auf ein Jenseits abgekoppelt hat. Immanuel Kant betont, der Wert einer moralischen Handlung bestehe darin, dass sie als Selbstzweck getan werde. Ethik ist keine Wissenschaft der hypothetischen Imperative, ihr liegt vielmehr ein kategorischer, das heißt unbedingter Imperativ zugrunde, der sich einer Selbstgesetzgebung der praktischen Vernunft verdankt.

Bezeichnend ist, dass Immanuel Kant auch eine Gefühlsethik als heteronom ablehnt. Vittorio Hösle fügt hinzu: „In der Ausrichtung der Ethik an der Vernunft hat Kant die deutsche Kultur bis heute nachhaltig geprägt und wohl auch dazu beigetragen, dass die emotionalen Aspekte der Moral unterbelichtet wurden.“ Vermutlich hat Immanuel Kant auch das deutsche Laster gefördert, manchmal auch ohne jede Not auf eigenem und fremdem Glück herumzutrampeln, nur um sich der eigenen Fähigkeit zur Pflichterfüllung zu vergewissern.

Von Hans Klumbies