Johann Gottlieb Fichte war einer der größten Denker aller Zeiten

Der deutsche Idealismus ist für Vittorio Hösle die intellektuell anspruchsvollste Philosophie gewesen, die das Land bis zu diesem Zeitpunkt hervorgebracht hat. Zudem gelang es ihm, nahezu alle innovativen Leistungen der früheren deutschen Philosophie in Form eines Systems, der komplexesten Gestalt des philosophischen Denkens, zu integrieren. Vittorio Hösle fügt hinzu: „Die religiöse Motivation der drei Hauptfiguren, die alle Theologie studiert hatten, trug dazu bei, dass eine weltgeschichtlich neue Form philosophischer Religiosität entstand, die das deutsche, zumal protestantische, aber in Ansätzen auch katholische Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts nachhaltig prägte.“ Die drei entscheidenden Denker des deutschen Idealismus waren Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814), Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775 – 1854) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831). Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).

Ein Aufsatz von Johann Gottlieb Fichte führt zum Atheismusstreit

Vor allem Johann Gottlieb Fichte halt Vittorio Hösle für einen der genialsten Denker aller Zeiten. Er begründet dies wie folgt: „Auch wen seine Schwächen irritieren, bleibt fasziniert von der Energie seines Charakters und überwältigt von der Qualität seiner neuen begründungstheoretischen Ideen, seiner Fähigkeit, die verschiedenen philosophischen Disziplinen in einen systematischen Zusammenhang einzuordnen, und dem existentiellen Pathos, mit dem er Philosophie aus einem Guss fordert.“

Johann Gottlieb Fichtes kometenhafter Aufstieg beginnt mit einer anonymen Publikation: „Versuch einer Kritik aller Offenbarung“. Das Jahr 1798 ist der entscheidende Wendepunkt in der Laufbahn des Philosophen. Die Veröffentlichung seines Aufsatzes „Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung“ führte zu dem Atheismusstreit und dem Verlust seiner Professur in Jena. In seiner „Appellation an das Publikum“ wandte sich Johann Gottlieb Fichte jedoch an die Öffentlichkeit und implizierte in seinen Argumenten so etwas wie die Freiheit der Meinung und der Wissenschaften, die damals weder positiv- noch naturrechtlich anerkannt waren.

Johann Gottlieb Fichte begründet den anspruchsvollsten Begriff der Philosophie

Was bei Johann Gottlieb Fichte in Deutschland als Atheismus verunglimpft wurde, war laut Vittorio Hösle vielmehr die Identifikation Gottes mit der moralischen Weltordnung, die nach Johann Gottlieb Fichte erforderlich ist, um guten Gewissens zu glauben, dass eine radikal intentionalistische Ethik zum Guten in der Welt beitrage. Zu den bleibenden philosophischen Leistungen von Johann Gottlieb Fichte zählt Vittorio Hösle den Umstand, dass er in seiner Programmschrift aus dem Jahre 1794 den anspruchsvollsten Begriff der Philosophie in unübertrefflicher Klarheit dargestellt hat.

Johann Gottlieb Fichte erklärt: „Die Philosophie hat die Aufgabe, die Grundsätze der einzelnen Wissenschaften ebenso wie die Logik zu rechtfertigen, nach der aus diesen Prinzipien die Theoreme erschlossen werden; sie muss zudem die innere Einheit des Systems der Wissenschaften aufzeigen. Gleichzeitig muss diese Wissenschaft von der Wissenschaft oder Wissenschaftslehre selbst Wissenschaft sein; sie braucht also ihren eigenen Grundsatz, der durch eine besondere Einheit von Form und Inhalt sich selbst begründet.“

Von Hans Klumbies