Friedrich Nietzsche war der Terrorist unter den Philosophen

Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) ist kein normaler Philosoph. Denn es gibt keinen anderen Denker, der sich weniger um Konsistenz in seinen Aussagen gekümmert, ja, mehr in Widersprüchen verstrickt hat. Mit seinem Werk kann man nahezu alles belegen. Aber nicht nur war Logik nicht seine Stärke, auch das Studium der Tradition, das Vittorio Hösle jedem Philosophen dringend empfiehlt, war bei Friedrich Nietzsche hauptsächlich durch die Sekundärliteratur seiner Zeit vermittelt. Vittorio Hösle erklärt: „Nietzsche ist als Philosoph und als Philosophiehistoriker gleichermaßen ein Dilettant, auch wen sein erst 1878 gefundener einzigartiger Stil von verführerischer Schönheit den Mangel an Argumenten und Evidenzen meist verdeckt.“ Seine Philosophie nicht besser durch den Größenwahn, mit dem er seinen Selbsthass zunehmend kompensierte. Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).

Friedrich Nietzsche hat den Verfall der Kultur in Deutschland beschleunigt

Kein anderer Denker hat laut Vittorio Hösle hat so viel zerstört, wie dieser philosophische Terrorist, kein anderer hat insbesondere so sehr zur Entfremdung Deutschlands von seiner klassischen Epoche beigetragen. Friedrich Nietzsche konnte allerdings nur deswegen so viel zerbrechen, weil das, gegen das er sich wandte, morsch und hohl war. Die Hohlheit der deutschen Kultur nach der politischen Einigung von 1871 hat Friedrich Nietzsche, statt sie souverän zu ignorieren, wie kein anderer auf den Begriff gebracht.

Vittorio Hösle sieht Friedrich Nietzsches Tragik darin, dass sein Mangel an technischer philosophischer Qualität bei phänomenologischer Kraft und brillantem Stil den Verfall der Kultur in Deutschland beschleunigt hat. Journalisten und Intellektuelle lesen Friedrich Nietzsche lieber als Gottfried Wilhelm Leibniz oder Immanuel Kant, und das Zeitungswesen und der Kulturbetrieb sind dadurch nicht besser geworden. Gute Philosophie ist für Vittorio Hösle wesentlich mehr als Expressivität, aber wie die Kunst hat auch sie eine expressive Aufgabe.

Friedrich Nietzsche war vom Gefühl der absoluten Ehrlichkeit durchdrungen

Doch Vittorio Hösle kritisiert Friedrich Nietzsche nicht nur, sondern würdigt ihn auch: „Zu den positiven bewusstseinsgeschichtlichen Veränderungen, die Friedrich Nietzsche ausgelöst hat, gehören eine Sensibilisierung gegenüber der Abgründigkeit der menschlichen Seele und Kultur sowie ein Wissen um die Gefährdung des Geistes und die Fragwürdigkeit moralischer Spitzenleistungen, die er an sich selbst reichlich beobachten konnte.“ Gleichzeitig trägt Friedrich Nietzsche die intellektuelle Hauptverantwortung zunächst für das deutsche Abenteuer einer Zermalmung der christlichen Weltordnung.

Sein Ja zum Leben, trotz seiner Schmerzen, und zwar ohne jede Aussicht auf ein Jenseits hat etwas Heroisches. Vittorio Hösle weist darauf hin, dass Friedrich Nietzsche ungewöhnliche Begabung auf den verschiedensten Gebieten hatte: „Er war tüchtig als Philologe, fähig als Komponist, innovativ als Lyriker, genial als Psychologe. Hinzu kam ein lutherisches Gefühl einer unbedingten Pflicht zur Ehrlichkeit auch um den Preis einer vollständigen Isolation von seinen Mitmenschen, ja, der Vernichtung einer Welt.“

Von Hans Klumbies