Das Begehren ist eine Quelle unaufhörlichen Leides

Gerade in der Liebe und in der Paarbeziehung ist etwas erlebbar, das die moderne Konsumgesellschaft standhaft leugnet. Ulrich Schnabel erklärt: „Die Erfahrung, dass Leben eben keine Frage der Glücksmaximierung ist, sondern dass unsere Existenz unausweichlich durch Aporien gekennzeichnet ist, durch Widersprüche und Begrenzungen, die sich nicht auflösen, sondern allenfalls aushalten oder transzendieren lassen.“ Eine dieser Aporien (die Unmöglichkeit, in einer bestimmten Situation die richtige Entscheidung zu treffen) ist etwa das sexuelle Begehren, zu dem gut ein Satz passt, der der heiligen Teresa von Avila zugeschrieben wird: „Es werden mehr Tränen über erhörte Gebete vergossen als über nicht erhörte.“ Tatsächlich haftet dem sexuellen Begehren von seiner Natur her stets etwas Widersprüchliches, Unauflösbares an. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

Das Leben ist nicht beliebig optimierbar

Solange das sexuelle Begehren unerfüllt bleibt, leidet ein Mensch. Wird es aber erfüllt, resultiert daraus in der Regel keine dauerhafte Befriedigung, sondern neues Verlangen und neues Leid. Diese Unauflösbarkeit ist seit jeher Stoff für große Literatur und Geschichten. Es ist das Unmögliche am Begehren: Egal, ob es befriedigt wird oder unerfüllt bleibt, führt es zu Enttäuschung. Die israelische Soziologin Eva Illouz erläutert: „Denn das Wesen des Begehrens besteht in dem Versuch, etwas zu erlangen, das in unserer Reichweite liegt, sich aber entzieht.“

Damit ist das Begehren eine Quelle unaufhörlichen Leides. Eva Illouz fährt fort: „Bleibt es ohne Erfüllung, macht es uns unglücklich, und wird es erfüllt, so versperrt es uns den Zugang zu dem, was in unserem Leben wesentlich ist.“ Aus der Sicht des modernen Selbstverständnisses ist diese Aporie des Begehrens natürlich ein Skandal. Zwingt sie die Menschen doch zu der Einsicht, dass ihr Leben nicht beliebig optimierbar ist. Während die Werbung und Konsumkultur suggeriert, das Glück bestünde in der Erfüllung all der Begehren – möglichst sofort – lehrt die Liebe das Gegenteil.

Gerade die Liebe kann das Warten lehren

Ulrich Schnabel schreibt: „Mitunter besteht das Glück eher im Aushalten und Spüren einer Sehnsucht als in ihrer prompten Befriedigung. Denn gerade in dieser Lücke zwischen Auftreten und Erfüllung der Sehnsucht wird jene Spannung spürbar, die das Leben ausmacht. Gerade die Liebe kann das Warten lehren und damit zum Gegenpol einer modernen Beschleunigungskultur werden, die auf die sofortige Erfüllung aller Wünsche drängt. Ebenso erfordern dauerhafte Beziehungen lauter Tugenden, die nicht dem herrschenden Zeitgeist entsprechen.

Ulrich Schnabel erläutert: „Paare benötigen einen langen Atem, müssen individuelle Interessen zugunsten gemeinsamer zurückstellen und sich vom üblichen Prinzip der steten Optimierung verabschieden. Statt ständig nach etwas Besserem Ausschau zu halten, gilt es, sich mit dem Vorhandenen zufriedenzugeben und sich mit den guten und schlechten Seiten zu arrangieren, die der Partner nun einmal hat. Selbst Eva Illouz, die normalerweise die Liebeshymnen so schonungslos zerpflückt, verteidigt daher das Leben in Beziehungen. Quelle: „Was kostet ein Lächeln?“ von Ulrich Schnabel

Von Hans Klumbies