Ulrich Herbert beschreibt die Weltwirtschaftskrise von 1929

Am 24. Oktober 1929 brachen die Aktienkurse an der New Yorker Börse ein. Daraus entwickelte sich innerhalb sehr kurzer Zeit eine zunächst auf die USA begrenzte, dann weltweit spürbare Wirtschaftskrise in einer bis dahin nie gekannten Größenordnung und Reichweite. Ulrich Herbert erklärt: „Die kurzfristigen Ursachen für diesen Börsenkrach ließen sich leicht klären: Im Vertrauen auf die Fortsetzung der Hochkonjunktur waren in den USA Spekulationsgelder in großer Höhe vor allem in Industriewerten angelegt und dadurch die Produktionskapazitäten deutlich ausgedehnt worden.“ Als die ersten Anzeichen einer Krise der Überproduktion sichtbar wurden und die Aktienkurse der großen Industrieunternehmen nachzugeben begann, brach unter den Aktionären eine Panik aus. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

Die Krise traf vor allem die großen Industriestaaten

Die Aktionäre versuchten ihre Anteilsscheine möglichst schnell und ohne Verluste zu verkaufen. Das führte zum Zusammenbruch des amerikanischen Aktienmarktes innerhalb weniger Wochen. Die langfristigen Ursachen für diesen Zusammenbruch hingegen wurden erst später deutlich: Zum einen handelte es sich um eine klassische zyklische Überproduktion in den USA, die durch Hochspekulation und einen labil organisierten Banken- und Aktienmarkt begünstigt wurde. Zum anderen hatte sich die zuvor auf Europa ausgerichtete Weltwirtschaft nach dem Kriege auf die USA orientiert.

Die Krise traf vor allem die großen Industriestaaten. Der Rückgang des Volkseinkommens von 1928 bis 1932 lag in den USA bei mehr als 50 Prozent, in Deutschland bei 39, in Großbritannien und Frankreich bei 18 Prozent. Die Reaktion der meisten Staaten auf die Krise bestand zunächst im Schutz der eigenen Volkswirtschaft. Ulrich Herbert erläutert: „Zollschranken gehörten ebenso dazu wie die Einschränkung des Devisenhandels oder die Abwertung der eigenen Währung. So begann das Volumen des Welthandels schnell zu sinken, und das Ende des Goldstandards als Symbol eines globalen Handelssystems zeichnete sich ab.“

Am stärksten stiegen die Arbeitslosenzahlen in Deutschland

Der Kollaps des Welthandels führte zum Zusammenbruch der Preise für landwirtschaftliche Produkte und damit zu einer weltweiten Agrarkrise, die nun auch die landwirtschaftlich geprägten Länder Ostmittel- und Südosteuropas in den Strudel der Weltwirtschaftskrise hineinzog. Die Verschuldung der Bauernhöfe war die Folge, ebenso wie die rapide zunehmende Arbeitslosigkeit auf dem Lande, die weniger sichtbar war als in den Städten, aber in Polen, Ungarn und Bulgarien vermutlich mehr als die Hälfte der Landbevölkerung ergriff und eine breite und lang dauernde Verelendung nach sich zog.

Die politisch brisanteste Zahl aber war die der Arbeitslosen: In den USA waren 1933 etwa 25 Prozent der Erwerbsfähigen arbeitslos. Am stärksten stiegen die Arbeitslosenzahlen in Deutschland. Hier wurden 1929 rund 1,9 Millionen Arbeitslose gemeldet, 1930 bereits 3,7 Millionen, 1931 circa 5,1 Millionen, 1932 etwa 5,3 Millionen, 1933 schließlich 6 Millionen bei etwa 13 Millionen Erwerbstätigen. Wahrscheinlich lag die Gesamtzahl der Erwerbsfähigen ohne Arbeitseinkommen sogar bei 8 Millionen – im Durchschnitt also ein Arbeitsloser pro Familie. Quelle: „Geschichte Deutschland im 20. Jahrhundert“ von Ulrich Herbert

Von Hans Klumbies