Globalisierung sorgt weder für Gleicheit noch Wohlstand

Für Tony Judt ist die Dynamik globalisierter Wirtschaftsmärkte die Illusion unseres Zeitalters. Vor allem stimmt es seiner Meinung nach nicht, dass die Globalisierung zu einer gerechteren Einkommensverteilung führt, wie das von ihren liberalen Verfechtern gerne behauptet wird. Tony Judt erklärt: „Zwar verringern sich die Ungleichheiten zwischen einzelnen Ländern, doch die Ungleichheiten innerhalb eines Landes verschärfen sich eher noch. Wirtschaftswachstum an sich garantiert weder Gleichheit noch Wohlstand, ist keineswegs ein zuverlässiger Motor der wirtschaftlichen Entwicklung.“ Der Amerikaner Tony Judt, der von 1948 bis 2010 lebte, studierte in Cambridge und Paris und lehrte nach Stationen in Cambridge, Oxford und Berkeley seit 1995 als Erich-Maria-Remarque-Professor für Europäische Studien in New York.

Der Nationalstaat gewinnt wieder an Bedeutung

Es spricht laut Tony Judt auch nichts für die These, dass Globalisierung zu politischer Freiheit führt. Die Öffnung Chinas und die anderer Wirtschaftsnationen in Asien haben nur zu einer Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer geführt. China ist nicht nur ein Land, in dem geringe Löhne gezahlt werden, sondern auch ein Unrechtsstaat. Tony Judt schreibt: „Genau deswegen werden niedrige Löhne dort auf absehbare Zeit garantiert sein – und auch in Ländern, mit denen China wirtschaftlich konkurriert, werden keine demokratischen Verhältnisse einkehren. Der chinesische Kapitalismus befreit die Massen nicht, er trägt zu ihrer Unterdrückung bei.“

Nachdem der Nationalstaat über Jahrzehnte an Bedeutung verloren hat, unterstreicht er jetzt gemäß Tony Judt wieder seine beherrschende Rolle in der Weltpolitik. In Zeiten wirtschaftlicher und physischer Krisen besinnen sich die Politiker auf die politischen Symbole, juristische Ressourcen und nationale Grenzen, die nur ein Territorialstaat bieten kann. Tony Judt denkt dabei unter anderem an die protektionistischen Tendenzen in Amerika und an die Popularität fremdenfeindlicher Parteien in Westeuropa.

Der demokratische Staat ist allein seinen Bürgern verpflichtet

Die Bewegungen des Kapitals über Ländergrenzen hinweg entziehen sich der nationalen Kontrolle, während Arbeitszeiten, Löhne, Renten und alles andere, was für den Arbeitnehmer wichtig ist, in den jeweiligen Ländern verhandelt werden. Tony Judt schreibt: „Angesichts der Probleme und Krisen, die durch die Globalisierung entstehen, wird immer nachdrücklicher nach dem Staat gerufen werden, die Konflikte zu lösen.“ Er ist davon überzeugt, dass der Territorialstaat in der nahen Zukunft politisch wieder an Bedeutung gewinnen wird.

Der Staat ist für Tony Judt nun die wichtigste Vermittlungsinstanz zwischen machtlosen, verunsicherten Bürgern und übermächtigen Unternehmen sowie internationalen Agenturen. Tony Judt erklärt: „Und der Staat, jedenfalls der demokratische Staat, hat in den Augen seiner Bürger eine besondere Legitimation. Er allein ist ihnen verpflichtet – und sie ihm.“ Für Tony Judt ist es keineswegs sicher, dass die Globalisierung Bestand haben wird und die Internationalisierung der Märkte zum Ende des Nationalstaats führen wird.

Von Hans Klumbies